Volx /// 30. März 2023 /// Szenen einer Ehe
Markus Öhrns absurdistische Interpretation von Bergmanns Szenen einer Ehe im Volx fördert aus dem bekannten Material das erfrischend unpsychologische Bild einer Beziehung ohne Beziehung zutage. Dem Publikum wird dabei in mehrerer Hinsicht ein starker Magen abverlangt.
Johan ist erfolgreich, ausgeglichen, sexy, weltmännisch. Außerdem noch eine ganze Reihe weiterer Adjektive, die er in einem Tonfall posaunt, der bedeutet: Seht, auch selbstironisch bin ich. Marianne ist mit Johan verheiratet und Mutter zweier Töchter. Es geht ihnen besser als den meisten, wie sie nicht müde werden zu beteuern. Markus Öhrns Neuinszenierung des Stoffs von Ingmar Bergmans Fernsehserie Szenen einer Ehe (1974) scheint die Figuren hier beim Wort zu nehmen und insistiert immer wieder: Was sich da auf der Bühne dar bietet, mag grotesk sein – aber doch nicht so viel grotesker als die Vorgänge in echten Wohnzimmern und echten Ehen.
Wie schon in früheren Produktionen entscheidet sich Öhrn dafür, die starre Typenhaftigkeit seiner Figuren sowie deren Entfremdung voneinander und von sich selbst auch ästhetisch zu thematisieren: Die technisch verlangsamten Stimmen verheddern sich immer wieder in akustischen Schleifen; die Gesichter stecken in grellen Masken aus Papiermaché. Doch während die bürgerliche Familienharmonie im Verlauf des Abends ins Wahnwitzige kippt, quillt hinter dieser Fassade die widerspenstige Körperlichkeit der ungeplant schwangeren Marianne (Bettina Lieder) und schließlich auch Johans (gnadenlos in der Beobachtung: Elias Eilinghoff) hervor. Die steril-unpersönliche Einrichtung der ehelichen Wohnung wird nach und nach überzogen von einer Schrift aus Kunstblut und hervorgewürgtem halb zerkautem Essen. Darin lässt sich schon lange vor der letzten Szene, in der Johan die Unterzeichnung der Scheidungspapiere verweigert, lesen, wie das alles enden muss: Das Leibliche nimmt überhand, bis da nichts anderes mehr ist als zwei in sich zusammengesackte Körper und eine von Gedärmen übersäte Bühne.
Öhrn ersetzt Bergmanns filigrane psychologisierende Dramatik, innerhalb derer die Charaktere bemerkenswerterweise dennoch Fremde bleiben, durch ein Schema, in dem das Aufeinandertreffen bekannter Kräfte – Standesdünkel, Selbstverleugnung aus Gewohnheit, gekränkter männlicher Stolz – erwartbar drastische Konsequenzen nach sich zieht. Bergmanns Szenen werden durch die hilflose Ermüdung, die man als Zuschauer:in angesichts der auf immer neue Weise verwundenden selben alten Kaprizen der Figuren verspürt, erst großartig. Und so tut auch der Eindruck von Abgeschmacktheit, der vom Abend bleibt, Öhrns Inszenierung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Sich diesen Themen ohne Phrasendrescherei zu widmen, würde beinahe ihre Verleugnung darstellen.
SZENEN EINER EHE
frei nach dem gleichnamigen Film und der Fernsehserie von Ingmar Bergmann
Mit Elias Eilinghoff, Bettina Lieder | Regie und Bühne: Markus Öhrn | Kostüm: Eleonore Carrière | Sounddesign: Joachim Zach | Lightdesign: Anton Andersson | Dramaturgie: Henning Nass
Mehr Informationen hier: https://www.volkstheater.at/produktion/1282416/szenen-einer-ehe/
Nächste Vorstellung: Mi 12.04. 20 Uhr
Titelfoto © Marcel Urlaub