TAG /// 4. Februar 2023 /// Höllenangst
Roaming und Bitcoins, Marlene Engelhorn und Hedgefonds: Das TAG überschreibt wortgewandt und spielfreudig “Höllenangst” von Johann Nestroy in einen digitalen Raum.
Adele (Lisa Schrammel) ist die Erbin eines großen Vermögens, auf das ihr schmieriger Onkel Stromberg (Jens Claßen) Anspruch erhebt. Ihr anderer Onkel Reichthal (Georg Schubert) musste fliehen, Richter von Thurming (Emanuel Fellmer) will diesem helfen und tauscht im Zuge einer Flucht mit Wendelin (Andreas Gaida) seine Kleidung. All das mündet in eine Geschichte von Verwechslung, Intrigen und Flucht.
Die Adaption von “Höllenangst” von Bernd Liepold-Mosser am TAG folgt den Grundzügen der Handlung Nestroys in einer anderen, aktuelleren Welt: Die Bühne verortet uns mit neonfarbenen Binärzahlen in einem digitalen Kosmos, als Ausstattung dienen übermenschlich große schwarze Bälle, die unterschiedliche Funktionen einnehmen. Die wenigen Kleidungsstücke in Neonfarben sind nicht nur ein optischer Kontrast zu den restlichen Kostümen, die in schwarz-weiß gehalten sind. Sie geben auch inhaltliche Botschaften wieder, da von Angehörigen und Unterstützern des Proletariats getragen werden.
In dieser virtuellen Matrix gleicht es einem Todesurteil “offline” gestellt zu werden, Daten dienen als Währung und nicht ein Stein, sondern eine Festplatte fällt vom Herzen. Diese Anspielungen sind treffend gewählt, aber so verdichtet, sodass es schwer fällt, sie zu verarbeiten.
Untermalt wird das Stück mit Gitarrenriffs von Oliver Welter. Eines der Highlights sind die Dialektlieder, welche das Ensemble gemeinsam mit dem Musiker singt. Bei diesen Couplets, wie sie auch schon Nestroy verwendete, steht immer eine andere Person als Vorsänger:in im Mittelpunkt. Sie sind unterhaltsame Analysen und Kommentare zur Handlung, die Mundart ist außerdem ein guter Kontrast zur anglizismuslastigen Sprache des Stückes.
Die englischen Worte sind dem Wortschatz des virtuellen Raums geschuldet, die eng mit der Kapitalismuskritik verbunden ist, die Bernd Liepold-Mosser ebenso in seine Version von “Höllenangst” eingearbeitet hat: Er prangert die skrupellosen Auswüchse der Finanzwelt an. Jens Claßen gibt als Stomberg einen großartig schmierigen Kapitalisten, dem das Prekariat hilflos ausgeliefert ist: Andreas Gaida als Wendelin trägt dazu passend ein “I´m a loser, Baby” T-Shirt.
Es geht schnell auf der Bühne zu, fast zu schnell, sodass es vor allem am Ende schwer fällt, der Handlung zu folgen. Auch der rasche Wechsel an Personen und Szenen verlangt höchste Aufmerksamkeit. Am besten ist das Stück dann, wenn man nicht mehr versucht, der Handlung zu folgen, sondern einfach die absurden Situationen, die wortgewaltigen Dialoge und die aktuellen Anspielungen genießt. Das fällt bei einer überzeugenden, spielfreudigen Besetzung auch nicht schwer.
Fazit: “Höllenangst” besticht, wie so oft am TAG, mit treffend adaptiertem Text und der schauspielerischen Leistung. In diesem Fall wäre jedoch weniger mehr gewesen, der Fokus auf Kapitalismuskritik oder digitaler Welt hätte das Verständnis vereinfacht.
HÖLLENANGST
No enlightenment, please!
Von Bernd Liepold-Mosser
Frei nach „Höllenangst“ von Johann Nestroy
Mit: Jens Claßen, Emanuel Fellmer, Andreas Gaida, Lisa Schrammel, Georg Schubert, Petra Strasser, Oliver Welter | Text: Bernd Liepold-Mosser | Regie: Bernd Liepold-Mosser | Ausstattung: Renato Uz | Musik: Oliver Welter | Dramaturgie: Tina Clausen | Licht: Katja Thürriegl | Regieassistenz: Renate Vavera | Ausstattungshospitanz: Felicitas Löschnauer | Kostüm- und Requisitenbetreuung: Daniela Zivic | Tontechnik: Peter Hirsch | Bühnentechnik: Hans Egger, Andreas Wiesbauer, Manuel Sandheim
Mehr Informationen hier: https://www.dastag.at/hoellenangst
Nächste Vorstellungen: Do 23.3, Fr 24.3. 20h
Fotos: © ANNA STOECHER