Theater Spielraum /// 23. Februar 2023 /// Herbstsonate
Es dauert manchmal Jahre, um die Kränkungen der Kindheit aufzuarbeiten: In “Herbstsonate” von Ingmar Bergman im Theater Spielraum geschieht das auf eine überzeugende Weise.
Nach sieben Jahren treffen sich Charlotte (Brigitte West) und ihre Tochter Eva (Dana Proetsch) wieder. Charlotte ist eine gefeierte Pianistin, die gerne im Mittelpunkt steht, aber vor Problemen flieht. Eva hingegen ist die Frau eines Landpfarrers, die sich der Care-Arbeit verpflichtet fühlt und auch ihre disabled Schwester Helena bei sich aufgenommen hat. Doch hinter ihrer Fassade als sich sorgende Tochter trägt sie der Mutter viel Groll aus der Kindheit nach, der im Laufe des Stückes immer stärker ans Licht kommt.
Die Distanz zwischen Mutter und Tochter wird schon an kleinen Gesten sichtbar: Die beiden weichen jeder Umarmung aus, in den Gesprächen lässt Charlotte Eva und ihren Mann Viktor (Christian Kohlhofer) kaum zu Wort kommen. Ihre Dominanz wird auch optisch deutlich, denn Charlotte sticht mit ihren roten Kleidungsstücken gegenüber dem gedeckt gekleideten Ehepaar hervor. Faszinierend ist die schauspielerische Leistung von Brigitte West, zusätzlich zur Sprechrolle turnt sie auf der Bühne und zieht sich um – Aktivitäten, die Schauspielerinnen ihres Alters selten im Theater zugestanden werden.
Während die Unterschiede zwischen den Frauen auf der Bühne präsent sind, macht Regisseur Gerhard Werdeker viel Wichtiges unsichtbar: Nicht nur wird die Begrüßung von Mutter und Tochter nicht gezeigt, auch die Szenen mit Helena, Evas Schwester, die auf ihre Betreuung angewiesen ist, finden hinter der Bühne statt. Helena selbst kommt nicht zu Wort; ihre Äußerungen werden von Christian Kohlhofer, der auch als Kommentator dient, nur mit einem “Helena sagt etwas.” kenntlich gemacht. Neben disability werden auch weitere familiäre Konflikte im Zuge der Aussprache zwischen Mutter und Tochter zur Sprache gebracht wie Abtreibung, Kindestod, Ehebruch.
Der Höhepunkt des Stückes bildet die endgültige Konfrontation zwischen Mutter und Tochter, als Eva ihre lang angestaute Wut rauslässt. Diese Szene geht dank der hervorragenden schauspielerischen Leistung der Protagonistinnen unter die Haut. Im Endeffekt wird die Schuld etwas einseitig großteils der Mutter gegeben, aber mit beiden Personen kann das Publikum Mitleid empfinden. Auch weil spürbar wird, dass auf ihre eigene Art beide nicht in der Lage sind, Liebe zu zeigen: Über ihre echten Gefühle sprechen sie nur alleine: Eva vor dem Grab ihres Sohnes, Charlotte bei einem Telefonat mit einem vermeintlichen Liebhaber.
Fazit: Das Theater Spielraum beweist, dass es kleine Theater schaffen, mit wenig Mitteln ein eindringliches, bewegendes Stück zu schaffen, das zudem mit schauspielerischer Leistung und Details besticht, aber etwas braucht, um in die Gänge zu kommen.
HERBSTSONATE
Schauspiel von Ingmar Bergman
Mit: Christian Kohlhofer, Dana Proetsch, Brigitte West | Inszenierung und Übersetzung: Gerhard Werdeker | Produktionsassistenz: Alice Gonzalez-Martin | Bühne: Raoul Rettberg | Kostüm: Anna Pollack | Licht: Tom Barcal | Abendtechnik: Daniel Leitner
Weitere Infos hier: https://theaterspielraum.at/herbstsonate/
kommende Vorstellungen: Mi 8.3., Do 9.3., Fr 10.3., Sa 11.3., So 12.3.
Fotos: © Barbara Pálffy