„PUNK&POLITIK“, TOMAS SCHWEIGEN, SCHAUSPIELHAUS WIEN.
- Ich steh leider nicht so auf Trash.
- Die schöne Galerie ist weg. Das Bühnenbild schneidet die Galerie in der Mitte durch!
- Man betritt den Zuschauerraum durch die Bühne. Gleich mal die Heterotopie Theater entzaubert.
- Der Bühnenbildner Stephan Weber stellt sich vor. Er lächelt sympathisch ins Publikum. Ist mir sympathisch! (Später spricht er auf Schwytzerdütsch was er sich über das EU-Parlament in Brüssel denkt. Da hätte ich gern länger zugehört. Authentisch, sympathisch und interessant war das.)
- Ok, die Schauspieler_innen tragen ein Manifest vor. „Sie werden hier kein… sehen“ kommt mir bekannt vor.
Versuchen die das so auf früher Handke? Nein. War wohl nur dieser erste Satz.
- Alle Frauen (drei) tragen enge Schuhe mit hohem Absatz. Progressiv und Punk stell ich mir anders vor.
- Jetzt stellt jemand (ein Schauspieler) die Frage, ob der Abend Postdramatik oder eine Story zeigen wird. Ich versteh diesen Gegensatz nicht mehr. Das ist doch heute kein Gegensatz mehr. Definier mir „story“, will ich in fragen. Mein Begriff von Narrativ ist so weit, dass auch Diskurstheater Platz hat. Irgendwas wird immer erzählt. Und dass hier kein bürgerliches Trauerspiel stattfindet, ist wohl jedem und jeder im Saal klar. Wozu also diese Frage?
- Vor mir kichert eine junge, blonde Frau. Sie hört überhaupt nicht mehr auf. Ist sie in den jungen, zugegeben hübschen Schauspieler verliebt? Kennt sie jemanden auf der Bühne erst seit kurzem und ist nervös, weil sie die Person spielen sieht? Ich verstehe nicht, was sie so witzig findet, dass sie vor lauter Lachen ihren Pullover ausziehen muss und jetzt im Träger-shirt dasitzt mit hochrotem Kopf.
- Jetzt sitzen die Darsteller_innen auf Stühlen in einer Reihe auf der Bühne. Sie spielen aufgeregt, nervös und sprechen in den kompliziertesten Konjunktivformen (immer wieder schallendes Gelächter im Publikum hinter mir) darüber, wie sie an die Produktion, die wir gerade sehen, herangegangen sind. Verzeihung: herangegangen wären. Es ist anstrengend ihnen zuzusehen.
- Ein Einspieler über Jón Gnarr , den ehemaligen Punk/Komiker -> Politiker/Bürgermeister von Reykjavík, ist sympathisch, interessant und lustig. Zurück in der Bühnenrealität kommt mir der Konjunktiv noch langweiliger vor. Ich beginne mich zu ärgern:
WIESO DIESER KONJUNKTIV?
- Robert Menasse wird im Einspieler interviewt. Ich notiere mir, Menasses Europa-Essay wieder einmal zu lesen und erinnere mich, wie sehr ich ihn als Schriftsteller, Meinungsträger und engagierten Menschen schätze.
- Am Interessantesten finde ich bisher das Schwytzerdütsche Statement des Bühnenbildners.
- Ok, hier wird auf der Bühne geraucht. Wäre nicht nötig gewesen, aber bitte. Wenigstens 70er Jahre Theaterbühnen-Punk.
- Ich werde ungeduldig. Die politischen Meinungen, Vorschläge, Themen werden so schnell und in Schachtelsätzen, mit teilweise kompliziertem Vokabular und von anderen theatralen Ebenen überlagert vorgetragen, dass ich mich nicht auf die Argumentationslinien konzentrieren kann. Es würde mich interessieren, aber ich verstehe es nicht. Dabei kommt mir das meiste aus Artikeln, die ich im letzten halben Jahr zur „Europäischen Krise“ gelesen hab, bekannt vor.
- Vassilissa Reznikoff stellt die EU als junge, naive, leicht bekleidete Frau vor, die über Jahre hinweg sexuell missbraucht wurde. Das find ich zu einfach gedacht und außerdem stört mich die unnötige sexuelle Objektifizierung einer Frau in dem Kontext.
Sexuelle Ausbeutung ist auch eine geile Metapher, denk ich zynisch.
- Da lassen sich die Positionen auch gleich gendern. (Einige Reflexionsangebote zum Thema „Rape as Metaphor“ gibts hier.)
- Schon wieder Konjunktiv! Diesmal um die tatsächliche (menschliche, aktionistische und numerische) Größe der ehrenamtlich arbeitenden europäischen Zivilgesellschaft zu beschreiben. Noch dazu der Konjunktiv der Vergangenheit. Als ob es schon vorbei wäre. Komischer Ansatz. Das Problem ist ja gerade, dass man das Gefühl bekommen könnte, die Solidarität wär vorbei. Wichtig wäre eigentlich zu zeigen, dass sie es nicht ist und, dass wir mehr davon nötig haben.
- Das Ensemble als EU-Parlament als Clowns übersetzt Witze. Das ist lustig.
- Niemand gendert beim Reden. Es wird durchgängig die männliche Form benutzt. Nur im Transkript (Übertitel) des letzten Jón Gnarr Videos wurden *e benutzt.
- Das Theater wird zum Marketingtool für eine EU Initiative. Zettel mit dem QR Code werden ins Publikum geworfen. Dass wir aus unserer „passiven Zuschauer(!)haltung“ aussteigen können und Geld spenden, wird uns gesagt. Ich möchte fragen, ob sie uns mehr zu dem Projekt erzählen könnten: Wie die Spenden eingesetzt werden. Warum sich die Produktion für dieses Projekt entschieden hat und nicht für eines der tausend anderen humanitären crowd-funding und crowd-sourcing Projekte, die seit Eintreten der refugee-Herausforderung aus dem Boden schießen. Aber ich frage nicht nach, weil es irgendwie keine richtige Möglichkeit gibt, sich aus seiner passiven Zuschauer_innenhaltung zu lösen. Ich kann nur die Goschn halten, den QR Code scannen und nach der Vorstellung Geld spenden. Dabei hätte die Publikumsgröße durchaus Diskussion zugelassen.
- Einer der Darsteller sagt, er interessiere sich gar nicht für Politik, aber für die junge Frau von der geförderten EU-Initiative. Deshalb engagiere er sich. Ein großes Fragezeichen erscheint plötzlich neben ihm. Aber das sehe nur ich. Was will er uns denn damit sagen?
Dass nach „Punk“ jetzt auch noch „Politik“ aus dem Titel verschwindet?
- Jetzt werden regionale Sterotype reproduziert. Eh ganz lustig. Ein uninteressierter Grazer spricht im steirischen Dialekt. Eine überambitionierte Deutsche drängt sich vor die Kamera. Coole Technoparty in London. Zwei traditionell gekleidete, dümmlich wirkende, Dialekt sprechende Kärtner_innen. Ich denke an die Ambitionen der Klagenfurter Literaturlandschaft und finde das Stereotyp nicht mehr lustig sondern künstlerisch unsolidarisch und allgemein fad.
- Es wird immer Trash-TV-Show-artiger und ich frag mich, ob das mit Punk gemeint ist?
- Da wär mehr möglich gewesen, denk ich mir. Enttäuscht denk ich an die letzten Produktionen, die ich im Schauspielhaus gesehen habe. Denke an Thiemo Strutzenberger. An seine Darstellungen, an sein letztes Stück, in dem Steffen Höld so lustig und traurig zugleich war. An die Theatermomente im Schauspielhaus, in denen sich ungedachte ästhetische, inhaltliche und emotionale Möglichkeiten vor mir geöffnet haben, plötzlich, aus einer einzigartigen, flüchtigen theatralen Ästhetik heraus. Und dann bin ich wieder hier, mit diesem Klamauk, der sich großspurig „Punk“ nennt. Vielleicht hab ich Punk falsch verstanden.
Ich hab an rotzige, freche, ehrliche Kommunikation relevanter politischer Inhalte gedacht. Sich kein Blatt vor den Mund nehmen, hab ich gedacht. Authentischer Streetstyle.
- Für einige Leute im Publikum war es ein sehr lustiger Abend. Sehr viele haben oft gelacht. Die blonde Frau vor mir immer. Ich hab ihr Lachen noch im Ohr.
- Was ich von diesem Abend mitnehme ist, dass ich Menasses Österreichischen Landboten lesen möchte und, dass Thomas Schweigen „lustig“ kann, es aber leider einfach nicht mein Humor ist. Es ist mir, auf Oberösterreichisch, zu bochn – also: zu gebacken. Aufgebläht und trocken, denk ich, so könnte man das übersetzen.
- Ich verstehe nicht, warum man das Komplizierte nicht vereinfachen hat können, an diesem Abend.
2015 ist es nicht sehr progressiv, gesellschaftliche Überforderung auf der Bühne abzubilden.
- Jeder Mensch ist überfordert davon, was auf der Welt gleichzeitig, intransparent und in wahnsinnigem Tempo passiert. Das ist der status quo. Das kann einem jeder Stammtisch darstellen. Theater muss den Schritt weiter nach vorn gehen, oder hinein, oder zurück, irgendwohin halt. Aber nicht da sein, wo eh alle sind. Da geh ich raus und denk mir: Aha. Überforderung also.
- Die Worte Regionalisierung, Nationalisierung und Globalisierung habe ich oft gehört. Die merk ich mir.
- Straches Pseudo-Bundespräsidenten-Video wird eingespielt. Simon Bauer spricht dazu. Ein Brüller für das Publikum. Ganz nett, aber bochn, denk ich mir. Noch einen Brüller kurz vor Ende abgeholt.
- Bauer lässt Strache sagen, dass er den Rechtspopulismus nur als Scherz gedacht hat. Dass alles ein „joke“ war. Das ist eine originelle Idee, die mir gefällt. Aber kurz zuvor ist genau diese Idee von Jòn Gnarr in einem Einspieler etabliert worden. Da hat man sich den Überraschungseffekt selbst genommen.
Wenn das ein taktisches Eigentor war, verstehe ich die Taktik nicht.
- Am Ende beginnt alles wieder von vorn, nur auf isländisch und in Steinzeitkostümen, die bei Sophia Löffler und Vassilissa Reznikoff wieder sehr viel Bein zeigen. Ich will nicht argumentieren, dass Schauspielerinnen sich bedecken sollen. Es soll sich jede so kleiden, wie sie will. Aber das Statement könnte man im Kostümdepartment reflektieren:
Müssen Frauen auf der Bühne Schuhe mit hohem Absatz tragen?
- Ausnahmen sind nämlich selten. Dabei gäbe es so schicke, formschöne matte und lackierte Lederschuhe mit flachem Absatz. Sogar als Clowns verkleidet hatten die Damen Schuhe mit hohem Absatz unter ihren Clownsschuhen an. Ging sich das mit dem Umzug nicht aus? Oder war das „weiblich-schöne Bein“ wichtiger als Komfort?
- Am Ende beginnt alles wieder von vorn, nur auf isländisch und in Steinzeitkostümen. Das ist die theatrale Übersetzung des in Kurzgeschichten und Filmen meist sehr peinlichen Topos „Dann bin ich aufgewacht“. Besonders „erfrischend und klug„, wie der erste Kommentator der bezüglichen Nachtkritik-Kritik seinen Abend resümmierte, finde ich das nicht.
Das nächste Stück im Schauspielhaus werde ich sicher sehen. Ich will wissen, was da sonst noch kommt. Aber das „Hausfreund*in“ Abo lasse ich derweilen noch im Geschäft. Um 22:00 tut mir diese Einsicht leid. Nicht vor den Verantwortlichen oder dem Ensemble, sondern vor mir. Um 19:40 wollte ich das Abo noch kaufen. Aber Hej! Mal schauen, was da noch kommt!