Auf Edition Burgtheater sind seit April „legendäre Inszenierungen, die das Bild dieses Hauses prägten und veränderten, zu Klassikern wurden und ästhetische Haltbarkeit bewiesen“ streambar. Am Montag, 11.05., war in diesem Format „Othello“ in einer Inszenierung von George Tabori (1990), die sich des Black-Facings bedient, zu sehen.
Neue Wiener Theaterkritik nimmt dies als Ausgangspunkt, um im Rahmen eines Schwerpunktformats zu den Themen strukturelle Diskriminierung und Machtstrukturen, insbesondere im Theaterbereich, sowie zur Praktik des Black-Facings diverse Perspektiven zu präsentieren.
Diese Woche hat Theaterwissenschaftlerin Azadeh Sharifi unsere Fragen schriftlich beantwortet.
Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist das (Post)migrantische Theater. Was können wir uns darunter vorstellen?
Das Postmigrantische Theater ist eine Strömung und Bewegung in der deutschsprachigen Theaterszene, die durch die Gründung des Ballhaus Naunynstrasse 2008 ihren Anfang hatte. Das Label wurde von den Künstler*innen, insbesondere der damaligen Intendantin Shermin Langhoff bewusst eingesetzt, um sich einer rassistischen Zuschreibung und damit auch Marginalisierung zu entziehen und gleichzeitig einen eigenen Raum zu schaffen, der mit eigenen Inhalten, künstlerischen und ästhetischen Perspektiven und Positionen gefüllt werden konnte. Shermin Langhoff hat diesen Raum und seine Künstler*innen folgendermaßen definiert:
„Es [geht] um Geschichten und Perspektiven derer, die selbst nicht mehr migriert sind, diesen Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive Erinnerung mitbringen. Darüber hinaus steht „postmigrantisch“ in unserem globalisierten, vor allem urbanen Leben für den gesamten gemeinsamen Raum der Diversität jenseits von Herkunft.“
Nach der Berufung von Shermin Langhoff als Intendantin des Maxim-Gorki-Theater Berlin, hat der Afro-brasilianische Kurator Wagner Carvalho die künstlerische Leitung des Ballhaus Naunynstrasse übernommen und das postmigrantische Theater mit einem Fokus auf Schwarze[1] und Afropolitane[2] Perspektiven und Positionen erweitert.
In ihrer Dissertation an der Universität Hildesheim schrieben Sie zum Thema „Theater für alle? Partizipation von Postmigrant*innen am Beispiel der Bühnen der Stadt Köln.“ Was verstehen Sie unter einem „Theater für alle“? Wie könnte dieses aussehen?
Theater für alle ist in Anlehnung und als Zitat an das kulturpolitische Credo verwendet, das seit den 1980er Jahren von Hilmar Hoffmann (Kultur für alle) ausgerufen wurde. Allerdings ist es nicht mit einem Ausrufezeichen, sondern mit einem Fragezeichen versehen, also nicht so sehr als Aufforderung, sondern als eine Hinterfragung zu verstehen.
Theater, wie auch andere Kulturinstitutionen, werden mit Steuergeldern finanziert, und damit von allen Steuerzahler*innen getragen. Aber die Barrieren beginnen nicht erst auf der Bühne, sondern vor der Tür der Theaterhäuser. Wer kann ein Theater im wahrsten Sinne des Wortes betreten? Wem wird im wahrsten Sinne des Wortes der Eingang verwehrt? Wer wird angesprochen und wessen Sprache (class, race, language & disability) wird nicht berücksichtigt? Wer darf eine künstlerische Ausbildung beginnen? Wer wird auf und hinter der Bühne (künstlerische und machtvolle Positionen) zugelassen? Wer wird als Publikum imaginiert?
Die Liste der Fragen könnte ich hier fortführen. Ich sehe tatsächlich die Orte, die Menschen, die Institutionen und die Strukturen sehr kritisch. Auch übrigens die eigene Disziplin, in der (weibliche) (Theater)Wissenschaftler*innen of Color nicht als Lehrstuhlinhaber*innen und Diskursmitgestalter*innen präsent sind.
In „Urteile“ haben Sie einen Buchbeitrag zum Thema „Institutioneller und struktureller Rassismus im Theater“ verfasst. Wie bewerten Sie die Situation, insbesondere Schwarzer Frauen*, im deutschsprachigen Theaterbereich?
Rassismus ist Teil der Struktur des Alltags, für Frauen of Color und Schwarze Frauen. Ich glaube, dass das deutschsprachige Theater nicht wie behauptet ein anti-rassistischer Raum ist, nur weil Bertolt Brecht oder Heiner Müller als die Patenonkels angesehen werden. Ganz im Gegenteil bestimmt die Kolonialität der Strukturen auch das Blick- und Repräsentationsregime im Theater.
Auch wenn, und ich wiederhole mich, einzelne Macher*innen machtvolle Positionen innehaben. Aber insgesamt gilt immer noch das selbe alte Prinzip des Kolonialismus: Teile und herrsche![3] Und das sehe ich weiterhin im deutschsprachigen Theater.
Der Diskurs um Black-Facing ist sehr präsent, insbesondere im Theaterbereich. Warum ist der Einsatz von Black-Facing als ästhetisches Mittel sowie die Praktik an sich problematisch?
Es gibt mittlerweile genug Forschung und Aufarbeitung von Blackface und seiner historischen Genese im deutschsprachigen Raum aus dem kolonial-rassistischen Stereotyp. Bühnenwatch und andere aktivistische Vereinigungen von Künstler*innen, Theatermacher*innen und Wissenschaftler*innen haben viel Arbeit dazu geleistet. Hierzu empfehle ich auch Beiträge von Nike Thurn, Katrin Sieg, Priscila Layne, David Ciarlo, Lisa Skwirblies und mir selbst. Auch auf Textures der FU Berlin lässt sich einiges nachlesen.
Zudem ist immer die Frage, wieso es ein (einziges) ästhetisches Mittel zur Darstellung von Schwarzen Menschen (ebenso für Asiat*innen usw.) gibt, aber weiße Menschen oder weiße Figuren durch unterschiedliche Darstellungen und Figuren auf der Bühne charakterisiert werden. Wenn Schwarzsein und die Erfahrung von Schwarzen Menschen nur auf schwarze Theaterschminke oder Maske reduziert werden kann, dann sind wir bei dem, was Chimamanda Ngozi Adichi in Ihrem Ted Talk mit der Gefahr einer einzigen Geschichte und damit der Kontinuität epistemischer Gewalt[4] gemeint hat.
Bekannte Inszenierungen, die Black-Facing nutzten, werden nicht selten zu einem historischen Kulturgut erklärt und dadurch legitimiert. Kritischen Stimmen wird so ihre Berechtigung abgesprochen. Wie bewerten Sie im Jahr 2020 die Veröffentlichung des Streams einer Inszenierung aus den 1990ern, die sich des Black-Facings bedient ohne auf den rassistischen Kontext (Minstrelsy)[5] zu verweisen und ohne die diskriminierende Praktik in der Stückbeschreibung zu dekonstruieren?
Wir sehen gerade, was mit den Statuen alter Kolonialherren und Kriegsverbrecher passiert. Sie werden entsorgt! Und mit ihnen diejenigen, die diese weiterhin als Kulturgut hochhalten wollen. Wer sich als Theater und Theatermacher*in unkritisch dieser alten macht- und gewaltproduzierenden „old dogs tricks“ bedient, will sich weder der eigenen Verwobenheit noch der eigenen Verantwortung stellen. In Zeiten, in denen Black Lives Matter nicht mehr ein Lippenbekenntnis sein kann, sondern Taten folgen müssen, können Theater und Theatermacher*innen sich nicht mehr hinter ihren epistemische Gewalt produzierenden Phrasen verstecken.
Was würden Sie einem Theater raten, das sich als “Theater für alle” jenseits von sozialer Ausgrenzung und für eine offene und plurale Gesellschaft positionieren möchte?
Dann sollte erst mal der Blick nach innen gerichtet werden und die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Position bis hin zur Aufgabe von Macht und die damit einhergehenden Hierarchien ins Zentrum rücken. Das betrifft nicht nur die künstlerischen Positionen in den Theatern oder auf der Bühne, sondern auch die Art und Weise, wie der „Kunstauftrag“ verstanden wird. Es gibt mittlerweile Möglichkeiten, sich einer Institutionsentwicklung im Sinne einer Diversitätsentwicklung zu stellen und sich einer Anti-Diskriminierung und der Allgemeinen Gleichbehandlung zu verpflichten.
Welche Theaterhäuser sind ihrer Meinung nach bereits auf einem guten Weg dorthin?
Ich bin sehr kritisch gegenüber einer positiven Einschätzung von Theaterhäusern, die „auf einem guten Weg“ sind. Denn nur weil diese Institutionen marginalisierte Künstler*innen und Theatermacher*innen zulassen, ob jetzt sogar ausnahmsweise auch in Leitungspositionen, heißt das nicht, dass Machtstrukturen nicht in anderer Form (Sexismus, Ableismus, Klassismus, Homo- und Transphobie) re-produziert werden. Ich bin aber gerade sehr gespannt, was im Neumarkt und in der Gessnerallee von den neuen Leitungen erprobt werden wird.
Azadeh Sharifi
studierte Germanistik, Philosophie und Jura in Heidelberg und promovierte in Hildesheim zum Thema „Partizipation von Postmigranten am Beispiel der Bühnen der Stadt Köln“. Sie arbeitete beim Forschungsprojekt „Strukturwandel europäischer Theaterhäuser“ des internationalen Theaterinstituts (iTi) Zentrum Deutschland unter der Leitung von Prof. Manfred Brauneck mit dem Forschungsschwerpunkt „Postmigrantisches Theater“. Von 2014 bis 2015 war sie Fellow am Internationalen Forschungskolleg „Interweaving Performance Cultures“ an der Freien Universität Berlin. Azadeh Sharifi ist Mitglied des Future Advisory Board des Performance Studies international (PSi). Aktuell arbeitet sie als Theaterwissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie an der Universität Wien.
Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist sie auch in praxisnahen Feldern aktiv. So war Azadeh Sharifi Mit-Kuratorin des Kinder- und Jugendtheaterfestivals „Augenblick Mal 2017“ sowie eine der Kurator*innen des Festivals „Politik im Freien Theater“ 2018, eine Kooperation der Bundeszentrale für politische Bildung mit den Münchner Kammerspielen und dem Spielmotor e.V.
Interview: Katrin Brehm & Sebastian Klinser
Fußnoten
[1] Schwarz:
In diesem Kontext bezieht sich Schwarz nicht allein auf eine Hautfarbe, sondern vielmehr auf die entsprechende gesellschaftlich-konstruierte Kategorie. Um diesen begrifflichen Unterschied zu kennzeichnen, wird die Großschreibung des Begriffs genützt.
[2] Afropolitan:
Ist ein von der britischen Schrifstellerin Tayie Sefasie im Jahr 2005 im Essay „Bye-Bye, Babar (Or: What is an Afropolitan?)“ geprägter Begriff. Er dient zum Um- und Neudenken der Identität Schwarzer Menschen. Afropolitan zeichnet sich für Selasi vor allem durch die Ablehnung allzu starker Vereinfachungen aus: Der Schwarzen Identität wird der einseitige Kontext von Diskrimierung entrissen und mehr Komplexität und Transnationalität zugeschrieben. Afropolitan zeichnet bewusst das Bild einer Generation Schwarzer Menschen, die in der globalisierten Welt als intellektuell und wohl situiert gelten. Trotz seines Empowerments eröffnet die Afropolitane Zuschreibung die Frage nach ihrem exklusiven und ausgrenzenden Charakter. Kritiker*innen (z.B. Marta Tveit) befürchten, der Begriff bezeichne nur die Lebensrealität einzelner Schwarzer Menschen, die von der Westlichen Welt geprägt leben und mache die Vielzahl an afrikanischen Lebensweisen unsichtbar.
[3] Teile und herrsche:
Ist die Bezeichnung einer Strategie zur Beherrschung einer Gruppe, die im Kolonialismus eine zentrale Rolle spielte. Dabei wird versucht, die zu beherrschte Gruppe in Untergruppen mit einander widerstrebenden Interessen aufzuspalten. So soll erreicht werden, dass sich die Teilgruppen gegeneinander wenden, anstatt sich vereint gegen den gemeinsamen Feind zu stellen.
[4] Epistemische Gewalt:
Wird in postkolonialen Diskursen verwendet, um die unterschiedlichsten Facetten von Gewalt besser aufzeigen/ differenzieren zu können. Neben struktureller, kultureller oder symbolischer Gewaltphänomene bezieht sich epistemische Gewalt auf Wissens-ungleichheitsverhältnisse. Das Gewaltpotenzial bezieht sich auf die konstruierte Ordnung von Wissens-beständen.
Zentral für das Konzept epistemischer Gewalt ist die Analyse von Rassismus, Sexismus und Kapitalismus im Kontext der kolonialen Expansion. Diese gelang nicht nur aufgrund der ungleichen materiellen Verteilung, sondern wurde vor allem durch „universalisiertes“ Wissen und Normen ermöglicht. Selbiges wurde genutzt, um die Ausbeutung und Degradierung von Menschen, wie etwa die Vernichtung alternativer Wissens- und Seinsformen, zu rechtfertigen.
[5] Minstrelsy:
Minstrel-Shows entstanden als populäres Unterhaltungsformat in den 1830ern in New York: Es handelte sich um abendfüllende Show-Programme, in welchen sich Weiße Performer*innen musikalische, tänzerische und sprachliche Elemente der Schwarzen Kultur aneigneten und diese stark stereotypisiert vor einem Weißen Publikum zu dessen Belustigung vorführten. Durch die stark verzerrte Darstellung der Lebensrealitäten von versklavten Menschen trugen sie maßgeblich zur Festigung und Verbreitung des Stereotyps der Schwarzen Person bei und ebneten so den Weg für die Einführung und Legitimierung der Segregation in den USA.
(Eine ausführlichere Beschreibung findet ihr in unserem Beitrag „Black-Facing und Weiße Privilegien“)
Foto: © Thomas Wieland