Auf Edition Burgtheater sind seit April „legendäre Inszenierungen, die das Bild dieses Hauses prägten und veränderten, zu Klassikern wurden und ästhetische Haltbarkeit bewiesen“ streambar. Am Montag, 11.05., war in diesem Format „Othello“ in einer Inszenierung von George Tabori (1990), die sich des Black-Facings bedient, zu sehen.
Neue Wiener Theaterkritik nimmt dies als Ausgangspunkt, um im Rahmen eines Schwerpunktformats zu den Themen strukturelle Diskriminierung und Machtstrukturen, insbesondere im Theaterbereich, sowie zur Praktik des Black-Facings diverse Perspektiven zu präsentieren.
Diese Woche hat Aktivistin, Autorin, Kulturwissenschaftlerin, Performancekünstlerin und Regisseurin Simone Dede Ayivi unsere Fragen schriftlich beantwortet.
In Ihrer Diplomarbeit an der Universität Hildesheim schrieben Sie zum Thema „Schwarze (Selbst-)Repräsentation im deutschen Theater“. Wie (selbst-)repräsentiert sind ihrer Meinung nach Schwarze[1] Menschen im deutschen Theaterbereich?
Gar nicht. Das muss man leider immer noch so sagen. Es gibt eine größere Sichtbarkeit. Viele Häuser haben jetzt diese eine Schwarze Person im Ensemble. Diese berichten häufig davon, stereotyp besetzt zu werden oder ganz offen vom Haus als Aushängeschild und Beweis dafür, dass man am Haus nicht rassistisch sei, missbraucht zu werden.
Auf Autor*innen und Regisseur*innen of Color liegt großer Repräsentationsdruck. Einfach deshalb, weil es noch keine Selbstverständlichkeit ist, das Nicht-weiße Personen in diesen künstlerischen Positionen sind. Deshalb ist klar, die Arbeit wird nicht einfach als Regie-Arbeit gelesen. Sondern als die Regie-Arbeit einer Schwarzen Person.
Mit ihrer Performance „Performing Back“ begeben Sie sich auf eine Spurensuche in die Kolonialgeschichte, um dem Vergessen gegenüberzutreten. Wie sehen Sie den Umgang Europas mit der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit? Inwiefern prägt dieser auch heutige diskriminierende Strukturen, insbesondere im Kunst- und Kulturbereich?
Viele Schwarze Organisationen setzen sich für die Aufarbeitung ein. Ihnen ist es zu verdanken, dass es überhaupt einen Diskurs darum gibt. Das Unrechtsbewusstsein der Institutionen, die von kolonialer Ausbeutung, beispielsweise von Raubkunst profitieren, ist im Grunde nicht vorhanden. Dass es so etwas wie das Humboldt Forum im neugebauten Berliner Stadtschloss überhaupt gibt und aus öffentlicher Hand gefördert wird, ist eine Schande. Universitäten, die die Gebeine unserer Vorfahren nicht rausgeben, Museen, die Alltagsgegenstände zweifelhafter Herkunft von außereuropäischer Gesellschaften ausstellen und so von der Konstruktion des „Fremden“ profitieren und Theater- und Opernproduktionen mit Blackface, exotisierender Darstellung Schwarzer Menschen und besonders dem weißen Blick auf Schwarze Körper.
Ein immer wiederkehrendes Charakteristikum/ Motiv ihrer Performances sind „afrofuturistische Erzählungen“. Welche Visionen und Utopien können wir uns unter dieser Bezeichnung vorstellen?
Afrofuturismus wird häufig einfach als Schwarze Sience Fiction gelesen. Ist aber viel mehr eine künstlerische Widerstandsbewegung. Afrofuturismus wurde in der Diaspora, besonders von Afroamerikaner*innen entwickelt, ist afrozentristisch und nimmt Bezug auf vorkoloniale Kultur verschiedener afrikanischer Gesellschaften. Es geht immer um die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Denn die Schwarze Vergangenheit, die afrikanische Geschichte, wurde uns mit dem Kolonialismus geraubt. Schwarzen Menschen wurde abgesprochen, eine Geschichte zu haben, die unabhängig des weißen Blicks existiert. Die afrofuturistische Ästhetik knüpft an das fast Verlorene an und überführt es in eine postrassistische Zukunft. Eine Utopie zu entwickeln, wenn du die Dystopie bereits lebst, ist ein widerständiger Akt. Deshalb spielen afrofuturistische Elmente in meiner Arbeit immer wieder eine Rolle.
Der Diskurs um Black-Facing ist sehr präsent, insbesondere im Theaterbereich. Warum ist der Einsatz von Black-Facing als ästhetisches Mittel sowie die Praktik an sich problematisch?
Blackfacing ist auf verschiedenen Ebenen problematisch. Egal wie es gemeint ist oder warum es eingesetzt wird. Da geht es um die Herkunft der Maskierung als Schwarze Person aus rassistischen Minstrelshows und die damit verbundene karikaturhafte und stereotype Darstellung. In modernen Inszenierungen wird oft behauptet, dass es diesen Bezug nicht gäbe. Es ist jedoch nicht möglich, Blackface zu nutzen, ohne sich auf den Ursprung zu beziehen. Das kann man nur ausblenden, wenn man sich mit der gesamten Geschichte von rassistischer, stereotyper und klischeehafter Darstellung Schwarzer Menschen nicht befasst hat.
Das moderne Blackface ist aber auch ein Symbol für Ausschluss. Oft wird als Begründung dafür gesagt, dass man eben keinen Schwarzen Schauspieler hatte und deshalb eben einen weißen Schwarz angemalt hat. Es gibt aber viele Schwarze Schauspieler*innen im deutschsprachigen Raum, wer sie nicht findet, hat nicht richtig geschaut. Das wird dann damit gerechtfertigt, dass man eben keine Schwarzen Menschen im Ensemble habe, weil es nicht genug Schwarze Rollen gibt. Aber was soll das sein, eine Schwarze Rolle?
Wenn man Blackface damit rechtfertigt, bedeutet das, dass weiße alle Rollen spielen können, auch dezidiert Schwarze Figuren, Schwarze jedoch keine Rollen spielen können, die im allgemeinen als weiße Figuren eingestuft werden. Wer heutzutage Blackface benutzt, ignoriert die Wünsche und den Widerstand Schwarzer Menschen gegen diese Praxis. Ich sehe das als aggressiven Akt von Leuten in Machtpositionen am Theater gegenüber den Kolleg*innen und Zuschauer*innen, die seit einer Weile auf dieses Ungleichgewicht aufmerksam machen.
Bekannte Inszenierungen, die Black-Facing nutzten, werden nicht selten zu einem historischen Kulturgut erklärt und dadurch legitimiert. Kritischen Stimmen wird so ihre Berechtigung abgesprochen. Wie bewerten Sie im Jahr 2020 die Veröffentlichung des Streams einer Inszenierung aus den 1990ern, die sich des Black-Facings bedient ohne auf den rassistischen Kontext (Minstrelsy)[2] zu verweisen und ohne die diskriminierende Praktik in der Stückbeschreibung zu dekonstruieren?
Ich finde es peinlich, latent rassistisch und einfach nicht zeitgemäß. So etwas zu machen und sich gleichzeitig zu fragen, warum junge Menschen mit Migrationshintergrund oder die eben einfach in einer pluralen Gesellschaft aufgewachsen sind, nicht ins Theater gehen ist absurd. Da habt ihr eure Antwort. Das betroffene Publikum ist zu schlau: Ein Theater kann sich nicht auf der einen Seite anbiedern und eine Öffnung behaupten und auf der anderen Seite stolz alte Rassismen reproduzieren, weil es eben zu ihrem Kulturgut gehört.
Was würden Sie einem Theater raten, das sich als “Theater für alle” jenseits von sozialer Ausgrenzung und für eine offene und plurale Gesellschaft positionieren möchte?
Ich würde diesen Theatern raten, gleichzeitig nach innen und außen zu arbeiten. Nach außen bedeutet, sich gezielt an ein breites Publikum zu wenden, ohne Angst mit neuen Formen, neuen künstlerischen und politischen Fragen und Themenschwerpunkten beim weißen bürgerlichen Publikum anzuecken. Nach innen bedeutet auf Repräsentation zu achten. Ein diverses Team vor und hinter der Bühne zusammenzustellen. Es bedeutet aber auch, Machtstrukturen zu hinterfragen, Hierarchien in Frage zu stellen und ein angenehmes, solidarisches Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem auch alle mitgestalten und mitsprechen können.
Welche Theaterhäuser sind ihrer Meinung nach bereits auf einem guten Weg dorthin?
Ich merke, dass viele Theater aktuell daran arbeiten und hoffe, dass es so bleibt und nicht nur ein Modetrend ist. Es geht um langfristige, nachhaltige Veränderungen in den Strukturen. Ich würde sagen, dass die Künstler*innen auf einem guten Weg sind und Veränderungen einfordern, selbstbewusst auftreten und einfach ihr Ding machen, auch wenn sie dafür noch nicht genug Raum bekommen. Ein bestimmtes Theater könnte ich da jetzt nicht hervorheben. Das muss sich erst noch zeigen.
Simone Dede Ayivi
lebt in Berlin, produziert Text und macht Theater aus Schwarzer feministischer Perspektive. Sie sucht nach dem revolutionären Geist und Solidarität im Alltag. Ihre Performances erörtern Fragen von Repräsentation, Widerstand und Community. Sie beschreitet Wege des Erinnerns und Wiederfindens – macht politische Kämpfe und Bewegungen, Schwarze Geschichte und Gegenwart sichtbar. Mit afrofuturistischen Erzählungen schafft sie im Theater einen Raum zum Grübeln, Übersetzen und neu Erfinden. Einen Raum für Utopien.
Interview: Katrin Brehm & Sebastian Klinser
Fußnoten
[1] Schwarz:
In diesem Kontext bezieht sich Schwarz nicht allein auf eine Hautfarbe, sondern vielmehr auf die entsprechende gesellschaftlich-konstruierte Kategorie. Um diesen begrifflichen Unterschied zu kennzeichnen, wird die Großschreibung des Begriffs genützt.
[2] Minstrelsy:
Minstrel-Shows entstanden als populäres Unterhaltungsformat in den 1830ern in New York: Es handelte sich um abendfüllende Show-Programme, in welchen sich Weiße Performer*innen musikalische, tänzerische und sprachliche Elemente der Schwarzen Kultur aneigneten und diese stark stereotypisiert vor einem Weißen Publikum zu dessen Belustigung vorführten. Durch die stark verzerrte Darstellung der Lebensrealitäten von versklavten Menschen trugen sie maßgeblich zur Festigung und Verbreitung des Stereotyps der Schwarzen Person bei und ebneten so den Weg für die Einführung und Legitimierung der Segregation in den USA.
(Eine ausführlichere Beschreibung findet ihr in unserem Beitrag „Black-Facing und Weiße Privilegien“)
Foto: © Ute Langkafel MAIFOTO
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