Das für seine stabile künstlerische Handschrift und ebenso stabile Position in der liberal-bürgerlichen Wiener Theaterlandschaft bekannte TAG – Theater an der Gumpendorferstraße wagt sich an ein heikles Thema: Rassismus gegen Schwarze in der zeitgenössischen, österreichischen Arbeitswelt. Das Publikum kicherte die 80 Minuten durch. Ich musste nach dem Applaus den Raum vor Wut und Tränen zitternd verlassen. Eine Erklärung meines emotionalen Kontrollverlusts. [Dieser Text enthält Spoiler, falls das für jmd was zur Sache tut.]
weitere Vorstellungen: Mai 8., 11., 12., 13., 23., 24., 31. I Juni 3., 6., 7., 8. (je 20.00)
Am 12. Mai findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch statt.
„Wie Nestroy möchte auch [Regisseurin Esther, Anm.] Muschol mit den Mitteln der Komödie auf gesellschaftliche Missstände bei der Chancengleichheit in der Arbeitswelt aufmerksam machen.“ heißt es im Pressetext zur Ankündigung des Stückes. Den Hauptteil des Abends bildet ein Setting, das auf die Darstellung von Selbsttechniken abzielt, mittels derer sich Menschen im neoliberalen Arbeitsmarkt als Arbeitskräfte verfügbar machen: das Assessment-Center eines internationalen Konzerns. Gesucht wird ein_r Manager_in. Fünf Bewerber_innen stehen zur Auswahl.
Scheinbar. Denn der komödiantischen Logik des Stückes folgend entpuppen sich Assessement-Center-Leiter_innen als eigentliche Bewerber_innen und vice versa. Alle humoristischen Potenziale der Bewerbungssituation werden bedient: erniedrigende Übungen, Missverständnisse und Unsicherheiten im Umgang mit Mitbewerber_innen, Selbstdarstellungen und als menschenverachtend herausgestellte Bewertungen.
Das große Thema des Abends – die rassistische Diskriminierung von Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe am österreichischen Arbeitsmarkt – ist dabei keineswegs diskursiv besprochenes Hauptthema, sondern eines von vielen in der Reihe „Ausschlusskriterien und Diskriminierungspotenziale im Arbeitskontext“. Ebenso wie latente Rassismen zeigt die Autorin und Regisseurin Esther Muschol latente Sexismen und Klassismen. Den aufreizenden Titel rechtfertigt allein der Prolog (großartig: Nancy Mensah-Offei) sowie der Schluss des Stückes, in dem sich die schwarze Mitbewerberin Titania als eigentliche (neue) Firmenchefin entpuppt und mit weiß geschminktem Gesicht die Weißen Untergebenen für sich singen lässt bevor sie sie erschießt. Für diese Szene malen die weißen Schauspieler_innen ihre Gesichter mit schwarzer Farbe an.
Freundlicher, passiver Liberalismus. Nur aus dieser Position heraus kann man den Zugang der Produktion zum Thema „Rassismus“ verstehen. Im Prolog erklärt Nancy Mensah-Offei als ‚Schwarze Schauspielerin‘ den Titel des Stückes bzw die Verwendung des Wortes „Neger“. Für den heutigen Abend ist unter der diskriminierenden Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe ein Mensch gemeint, der „alles mit sich machen lässt“. Der moderne Arbeitsmarkt macht – so die Lesart der Produktion – alle Menschen zu „Negern“, weiße Menschen eben zu „weißen Negern“.
Was mich ärgert, ist zum Einen die Gleichsetzung verschiedener Formen von Diskriminierung. Titus Feuerfuchs wird aufgrund seiner roten Haare diskriminiert. Titania Coleman aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe. Hans aufgrund seiner sozialen Klasse. Eine andere Mitbewerberin aufgrund ihrer Mutterschaft. Die tiefe, systemische Einbettung von Diskriminierungen in der Kultur unserer Weißen Gesellschaft bleibt weitgehend unthematisiert. „Org“ ist es natürlich, wenn ein Mitbewerber annimmt, Titania könne aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe besser trommeln als die Anderen, aber die Inszenierung und Dramaturgie des Abends löst solche Momente in ihrem humoristischen Potenzial vollends auf.
Zum Anderen ärgert mich die Neubesetzung und damit Wiedereinführung des Wortes „Neger“. Wer die Begriffsgeschichte dieser menschenverachtenden Bezeichnung nicht kennt, soll sie bitte googeln. Es gibt dazu ausreichend Literatur. Dass dieses Wort im Jahr 2017 immer noch von großen Teilen der österreichischen Bevölkerung als neutraler Begriff zur Bezeichnung von Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe verwendet wird, ist eine Unerträglichkeit, die jeder (friedlichen) Art von Gegenaktion bedarf. Man kann sich als zeitgenössische Kunst- und Kulturproduktionsstätte nicht auf eine zynische Position zurückziehen und den Begriff „Neger“ neu besetzen ohne seine historischen Implikationen und die physisch-reale Gefahr für nicht-weiße Menschenkörper, die von der dem Begriff inhärenten Denkweise ausgeht, mitzuthematisieren.
Wenn ein der neoliberalen Marktlogik unterworfenes Unternehmen wie Netflix TV-Serien wie „Dear White People“ produzieren kann, ist das im Kontext der Integration ethno-spezifischer Thematiken in den Mainstream der amerikanischen Unterhaltungskultur zu erklären. Rassismus wird in Österreich immer noch als Randthema behandelt. Rassistische Kultureme bleiben im hegemonialen österreichischen Kulturdiskurs als blinde Flecken schon peinlich lange dethematisiert. Die Beschäftigung mit Alltagserfahrungen nicht-Weißer Österreicher_innen und der Konsum nicht-österreichischer Kulturproduktion kann die Blindheit im Bezug auf die eigene, Weiße Privilegiertheit abbauen.
Das Theater an der Gumpendorferstraße hat mit „Ein Kätchen.Traum“ gezeigt, wie antirassistische Praxis am Theater aussehen kann. Mit „Weiße Neger sagt man nicht“ ist die anvisierte Gesellschaftskritik nach hinten los gegangen. Der kritische Kommentar auf rassistische Funktionsweisen in der Logik des zeitgenössischen Arbeitsmarktes ist in Esther Muschols Arbeit zu einem humoristisch ausgeführten, kritischen Ansatz verwässert.
This is what happens if you don’t check your White Privilege.
In Zeiten des Erstarkens gesellschaftlicher Akzeptanz für Rassifizierungen ist es kulturpolitisch unverantwortlich, diskriminierende Begriffe zu verharmlosen und gesellschaftliche Ungleichheiten, die von rechten Medien und Politiker_innen zunehmend naturalisiert werden, als humoristisches Potenzial zu nutzen. Blackfacing als Methode theatraler Darstellung hätte ich gehofft 2017 nicht mehr sehen zu müssen. Schwarzsein bedeutet unfreiwillige Unterwerfung – so die Interpretation der Produktion. Wenn Titania Coleman am Schluss die Position der Unterdrückerin einnimmt, schminkt sie sich weiß. In erniedrigenden Aufträgen gefügig gemachte Weiße schminken sich konsequent schwarz. Mir wird schlecht. Schwarzsein wird auf Unterwerfung reduziert. An einem ernst zu nehmenden Theater. 2017. Zum Schlussapplaus treten die Schauspieler_innen unverändert wieder auf die Bühne. Ist das ein Versehen oder Gleichgültigkeit gegenüber den kulturtechnischen Implikationen von blackfacing?
„Eigentlich samma olle Neger bei dem Wirtschaftssystem.“ – Soll das die große Botschaft des Abends sein? Die Normalisierung des Begriffs „Neger“? Die Dethematisierung seiner Begriffsgeschichte? In meinem Empfinden endet das Stück in einer perserven Aneignung Schwarzer Erfahrungen durch Weiße Privilegienbesitzer_innen, die mit dem von ihnen selbst unterstützten Wirtschaftssystem nicht zurande kommen. Von der im Stück naturalisierten Opposition Schwarz-Weiß sprechen wir hier noch gar nicht.