Wer sich zu den Wiener Theater-Insider_innen zählt, sollte sich den Namen eines jungen Regisseurs jetzt schon merken, um später bereits damals cool gewesen zu sein: Felix Hafner ist 24 Jahre alt, hat das Max Reinhardt Seminar abgeschlossen und im Großen Haus des Volkstheater Wien eine High-Class Comedy inszeniert, der nun die Ehre zuteil wird, nicht nur am 26.12.16, sondern auch am Silvesterabend im Programm des zweitgrößten Wiener Theaterhauses zu stehen. Wir gratulieren herzlich und haben Felix Hafner zum Gespräch ins Hinterzimmer des Radlagers im fünften Wiener Gemeindebezirk gebeten.
„Der Menschenfeind“ von Molière. Volkstheater Wien. Premiere: 1. Oktober 2016. weitere Termine: 30.10. / 03., 05., 08., 12., 13.11. / weitere Termine www.volkstheater.at
Wo warst du während der Premiere? Bist du im Publikum gesessen? – Ja, klar. Aber gesessen bin ich nicht. Ich bin am Balkon hinten gestanden. Ich war sehr aufgeregt. Da hab ich nicht sitzen können.
Hafner, der vergangene Theatersaison mit einer ästhetisch sensibel gearbeiteten und gleichzeitig sehr zugänglichen Inszenierung von Thomas Köcks “Isabelle H.” erstmals auf dem Wiener Parkett in Erscheinung getreten war, wirkt wenige Tage nach seiner umjubelten, großen Premiere leicht erschöpft, zufrieden und glücklich. Es war gut, dass die Proben zum Menschenfeind zweigeteilt waren. Man begann schon vor dem Sommer, legte Juli und August eine Pause ein und probte im September zu Ende. Dieser Rhythmus gab Hafner Zeit, die ersten Erfahrungen mit der praktischen Auslegung seines Regiekonzeptes durchzuatmen und geschärft in den zweiten Probenteil mitzunehmen.
Uns war wichtig, die Oberflächen, die das Stück anbietet, nicht auszureizen. Wir wollten jeder Figur ihre Berechtigung geben und keine oberflächigen Arschlöcher darstellen.
Im Vordergrund steht da eine Komödie, die nicht einfach ist. Sie folgt nicht dem klassischen Komödienschema, es gibt keine Verwechslungen, die sich am Ende auflösen und alle sind wieder zufrieden. Natürlich ist es lustig, aber am Schluss gibt es keine Lösung in der Gemeinschaft, sondern alle gehen weg.
Für einen Theaterregisseur schwierig gestaltet Molière seine Figuren nicht als psychologische Charaktäre, die innere Konflikte austragen und eine Entwicklung erleben. Als Thema des Stückes wird keine Geschichte erzählt, sondern die Frage gestellt: Wie verhält man sich in Gesellschaft? Dazu bietet Molière unterschiedliche Möglichkeiten in Form unterschiedlicher Charaktäre an. Keiner der Charaktäre durchlebt allerdings eine Veränderung. Die Versuchsanordnung ähnelt eher einem Bravo-Psycho-Test: Welcher Gesellschafts-Typ bist du?
Schon zu Beginn seiner Arbeit an dem Text waren für Hafner zwei Grundideen klar: Essenskomik als Humorbomben zu verwenden und aus dem schmalzigen Liebesgedicht, das Oronte vorträgt, eine Popnummer zu machen. “Das ist absolut mein Humor.”, meint Hafner und lacht. Ein Vorbild war Martin Crimps Übersetzung des Misanthropen in die Hollywood-Welt des späten 20. Jahrhunderts. Sattelfest zeigt sich Hafner, wenn es um die historischen Hintergründe seines Spieltextes geht:
Die Funktion des Adels damals war es, reiner Funktionsadel zu sein. Außer fesch zu bleiben war da nicht viel zu tun. So sehen wir es auch im Stück. Aus dieser Dynamik oder besser diesem Stillstand entwickelt sich eine sogenannte Portraitgesellschaft. Sie zeichnen – mit Worten, in Erzählungen übereinander – Portraits voneinander. Das kommt auch in unserem Stück vor. Man spricht über gemeinsame Bekannte, lästert, lobt, porträtiert. Deshalb war mir auch der Abgang mit Blick ins Publikum so wichtig. Alle Figuren treten über diese Showtreppe auf und treten als Sieger über den Treppenabgang ab.
Und wie geht’s jetzt weiter? – „Nach der High-Class-Comedy zieht es mich wieder runter. An “Isabelle H.” war schön, im kleineren Rahmen mit einem zeitgenössischen Stück mehr ausprobieren zu können. Wichtig ist mir, möglichst viele verschiedene Textarten zu inszenieren. Da reizt mich neben einem Klassiker oder zeitgenössischem Stück auch eine Roman-Bearbeitung oder eine Stückentwicklung.”
Am Ende muss ich doch noch kurz zum Frauenbild im Text und in der Inszenierung fragen: Waren das nicht missgünstige Frauen, die unsolidarisch Opfer und Mittäterinnen im patriarchalen System sind? Einziges Lebensziel der Frau einen Mann zu bekommen?
Ich sehe das nicht so. Im Ö1 Interview wurde ich das auch gefragt: Alle Frauen im Stück wollen nur 1 Mann. Aber was du übersiehst ist, dass das Stück von 1666 ist und alle Figuren unabhängig sind! Das ist radikal für diese Zeit: Die Liebe scheitert nicht an einem patriarchalen Vater, der die Liebe zwischen Alceste und Célimène verhindert, sondern an den unterschiedlichen Weltbildern der zwei Liebenden. So habe ich sie auch inszeniert: Meine Figuren leiden nicht an Abhängigkeiten. Sie sind keine Tragisch-Liebenden.
ACHTUNG SPOILER
Célimène ist eine selbstständige, glückliche Figur. Éliante (Nadine Quittner) könnte am Schluss ihren Geliebten haben, sagt aber dann “Ach, nee.” und nimmt Philinte, weil es eigentlich eh auch passt.
Liebe ist im Menschenfeind nichts absolutes, keine dramatische Macht. “Das ist ein verhandelbares Liebesverständnis”, schließt Hafner seinen Diskurs. Außer für Alceste, der seine Liebe absolut setzt und dafür auch im Gegenzug Absolutes von seiner Geliebten verlangt.
Nach eineinhalb Stunden Gespräch bei frischem Pfefferminztee zwischen Fahrrädern und Kunstfotos verabschieden wir uns. Kurz sprechen wir noch über die neue Single von Bilderbuch und Hafner empfiehlt mir, die neue von Bon Iver zu hören. Das Liebesbild (absolut vs. verhandelbar) bleibt mir noch ein paar Stunden im Kopf hängen. Vielleicht sollte ich mir den Menschenfeind nochmal ansehen gehen…