Akademietheater Wien /// 15. Dezember 2023 /// Hildensaga. Ein Königinnendrama
Was wäre, wenn die Nibelungensaga an die Stelle weiblicher Feindseligkeit weibliche Solidarität setzen würde? Mit Ferdinand Schmalz’ Rewriting des Nibelungenstoffs inszeniert Jan Bosse die Hildensaga, die diese Frage stellt und zu beantworten sucht.
Mit einem aufwendigen Bühnenbild aus von der Decke hängenden orangefarbenen Plastikfäden, die auf das Werk der handlungsgestaltenden Nornen (Zeynep Buyraç, Elisa Plüss, Nina Siewert) verweisen, einem in Schaum eingeschneiten Bühnenboden in der ersten und einer Wand aus Gitterstäben in der zweiten Hälfte überzeugt die Inszenierung optisch von vornherein. In diesem Setting wird der Brautwerbungs- und Wormshandlung ein programmatisches Zusammentreffen zwischen Brünhild (Julia Windischbauer) und Siegfried (Nils Strunk) vorgeschaltet: In einem auf komische Effekte zielenden, glitzernden Kostüm wirbt er mit Taylor Swifts „Anti-Hero“ um Brünhild, die zunächst auch in das Duett einstimmt. Nachdem sie sich jedoch Siegfried zu widersetzen sucht, wird er gewalttätig. Brünhild wäre Opfer seiner Gewalt geworden, wenn die Nornen sie nicht zuvor mit ihrem berühmten Zaubergürtel ausgestattet hätten.
Foto: Marcella Ruiz Cruz
Die Gestaltung eines mächtigen Mannes als Lachfigur bleibt das gesamte Stück über erhalten: Sowohl Siegfried als auch Gunther (Dietmar König) und seine Brüder werden dümmlich gezeichnet, doch wird dieses Bild immer wieder durch ihre Grausamkeit gebrochen. Weshalb die Männer der Hildensaga derart ausgeprägt lächerlich auftreten (Hagen bleibt die einzige Ausnahme), wird nicht ganz klar, sind sie doch schließlich keineswegs dumm, sondern perfide Täter, die durch Arglist Brünhild regelrecht nach Worms abführen. In der zweiten Hälfte allerdings scheinen die Lacher des ersten Teils abgestraft zu werden. Brünhilds Vergewaltigung durch Gunther und Siegfried wird eindrücklich auf die Bühne gebracht. Es gelingt der Inszenierung, sie als solche darzustellen, ohne den Tätern den Raum zu geben, der Brünhild zusteht. Die Komik der Anti-Heroes kippt und ein Stolperer über diejenigen Plastikfäden, in denen Brünhild eben noch gefangen war, evoziert nun keine Lacher mehr. Stattdessen wird die Systematik der Männerherrschaft angeklagt, deren „Nibelungentreue“ sie über das Verbrechen schweigen lässt. Hier setzen die Nornen ein, um im Angesicht der begangenen Grausamkeit Kriemhilds (Katharina Lorenz) Loyalität zu erwecken. Zeitsprung zur Dom-Szene. Statt des zu Beginn nach Originalvorlage erfolgten Streits darum, jeweils als Erste den Dom zu betreten, will Kriemhild nun einen neuen Handlungsstrang beginnen, der der zerstörerischen Nibelungentreue weibliche Solidarität entgegensetzen soll.
„Ich will dir eine Schwester sein.“
Kriemhild zu Brünhild im zweiten Anlauf der Dom-Szene
Foto: Marcella Ruiz Cruz
Hat Kriemhild in der alten Stofftradition noch unwissend zu Siegfrieds Mord beigetragen, setzt sie ihn nun bewusst dem Wormser Herrscherpersonal aus und die Rache der Hilden beginnt. Das Problem, dass ein Untergang beinahe aller Figuren durch die Hand der beiden Frauenfiguren jedoch nur eine Reproduktion des männlich-gewaltvollen Systems ist, benennt der Text zwar kurz (Kriemhild: „Muss immer alles wieder im Gemetzel enden?“), eine alternative Lösung wird allerdings nicht geboten. Stattdessen endet die Inszenierung in der Wildnis des Waldes, wo sie die Ursprünge der gewaltvollen Nibelungentreue mittels bekannter Wolfs- und Rudelmetaphern verorten will. Dass dieses System des Schweigens jedoch das Ergebnis männlicher Gewaltherrschaft ist, wie sie am Hof, an zivilisatorischen Orten, etabliert wurde, rückt bei Brünhilds Warnung vor überall lauernden Wölfen in den Hintergrund. Wenn sie als „last woman standing“, wie das Programmheft sie nennt, aus dem Dickicht der Fäden hervorragt, bleibt die Frage, was die eigentlich revolutionäre weibliche Verbündung realiter bewirkt hat.
Trotz der teils fragwürdigen Komik ist die Aufführung eindrücklich und kurzweilig. Die Schauspieler*innen überzeugen durchweg, Bühne und Kostüm tragen ebenfalls zum hohen Unterhaltungswert der Inszenierung bei und wenn es auch den Hilden leider nicht gelingt, das Paradigma der Gewalt zu durchbrechen, so wird zumindest als ein erster, im Kontext des Nibelungenstoffs durchaus innovativer Schritt weibliche Allianz als Versuch einer Gegenbewegung gesetzt.
HILDENSAGA. EIN KÖNIGINNENDRAMA
von Ferdinand Schmalz
Regie: Jan Bosse | Bühnenbild: Stéphane Laimé | Kostüme: Kathrin Plath | Musik: Arno Kraehahn | Licht: Reinhard Traub | Dramaturgie: Gabriella Bussacker
Mit: Julia Windischbauer (Brünhild) | Katharina Lorenz (Kriemhild) | Zeynep Buyraç, Elisa Plüss, Nina Siewert (Nornen) | Oliver Nägele (Wotan) | Nils Strunk (Siegfried) | Dietmar König (Gunther) | Rainer Galke (Hagen) | Tim Werths (Gernot) | Gunther Eckes (Giselher)
Mehr Informationen unter hildensaga. ein königinnendrama | Burgtheater
Fotos: © Marcella Ruiz Cruz