Burgtheater /// 23. April 2022 /// Die Troerinnen nach Euripides
Verzweiflung, Elend, Tod. Mit zeitgenössischer Bildsprache und Textfragmenten fragt Regisseurin Adena Jacobs im Burgtheater: „Was passiert eigentlich nach dem Krieg?“ Die Antwort erschüttert.
Nackt, haar- und schmucklos, ja deutlich kriegsversehrt klagt Hekabe, die letzte Königin Trojas, ihr Leid: Die Stadt ist gefallen, ihre Kinders sind tot, die Zukunft ungewiss. Nach dem zehnjährigen Krieg zwischen Troja und den Griechen und vor der langjährigen Heimfahrt der Gewinner, also zwischen den zwei großen männlichen Epen der griechischen Literatur, der Illias und der Odyssee, erzählen die Frauen Trojas von ihrem Schicksal. Hekabe, ihre Tochter, die Seherin Kassandra, Hektors Ehefrau Andromache und Helena, die als Auslöserin des Krieges herhalten musste, wehklagen darüber ihre Kinder und Ehemänner sterben zu sehen, per Los einem neuen Mann als Gattin oder Sklavin zugeteilt zu werden, oder darüber was männliche Gewalt, was „Heldentum“ und Krieg für Spuren hinterlassen.
Erzählt wird über eine zusammengekürzte Kombination aus antiken Texten von Euripides, Ovid, Seneca und Jane M. Griffith, deren zeitgenössische Perspektive auf den weiblichen Körper kaum zu übersehen ist: Wie sehr sich das Leid in den nackten und kahlen Körper geschrieben hat, zeigt sich wenn Hekabe (Sylvie Rohrer) am Gynäkologenstuhl posiert, Kassandra (Lilith Häßle) sich den Kopf rasiert, Andromache (Sabine Haupt) sich am ganzen Körper tätowieren lässt. Nur Helena (Patrycia Ziolkowska) bleibt angezogen: Die Frau, die als Vorwand für den Krieg herhalten musste, bleibt auch nach dem Fall Trojas Projektionsfläche und Trugbild. Ein willkommener Sündenbock.
Den einzelnen Teilen ist eine eigene ausdrucksstarke und beunruhigende Bildsprache eigen, die zwar jeweils für sich steht, aber die Teile auch miteinander verknüpft. Überhaupt treffen die visuellen Anleihen aus dem netflix‘schen Sci-Fi- und Thriller-Universum den visuellen Zeitgeist: Wenn der Chor aus einem ausgebombten Reisebus heraus aufs Bühnengeschehen blickt, wenn medizinische Gerätschaften, die unheimliche Atmosphäre eines Krankenhauses evozieren, wenn pompöse Abendkleider blutbefleckt von den Körpern hängen. Dass die Bilder damit auch mit jenen Eindrücken von Krieg,Flucht und Verzweiflung entsprechen, die wir aus den täglichen Nachrichten kennen, macht das Stück trotz des komplexen Texts und der anspruchsvollen Bildsprache nahbar.
Besonderes Highlight der Inszenierung ist der Chor, der über weite Teile des Stückes stumm bleibt, allerdings mittels eingespielter Vidoeinstallationen ( Tobias Jonas und Eugyeene Teh) und Performance-artiger Passagen visuell inszeniert wird. Etwa zu Beginn, als tanzenden Körper, auf den Zwischenvorhang projiziert, an die Sternbilder des Himmels erinnern oder in einer nahgehenden Passage, als sich die Chormitglieder Stück für Stück ihrer Kleidung entledigen und darunter tiefe, klaffende Wunden entblößen.
Originalgetreu bleibt Jacobs Inszenierung im Burgtheater vor allem in ihrer Aussichtslosigkeit: Nach einem solchen Krieg gibt es keinen Neuanfang, keine Hoffnung. Wer an solchen Wunden leidet, der findet keinen Frieden. Den Frauen Trojas bleibt einzig Verzweiflung, Trauer, Wut und Rache.
Die Troerinnen nach Euripides mit Texten von Euripides, Ovid, Seneca und Jane M. Griffiths. Deutsch von Gerhild Steinbuch I Regie: Adena Jacobs I Bühne und Kostüme: Eugyeene Teh I Komposition: Max Lyandvert I Choreographie: Melanie Lane I Videodesign: Tobias Jonas, Eugyeene Teh I Licht: Michael Hofer I Dramaturgie: Alexander Kerlin I Dramaturgiemitarbeit: Aaron Orzech I Schauspiel: Sylvie Roher, Patrycia Ziolkowska, Sabine Haupt, Lilith Hässl, Safira Robens I
Foto: Susanne Hassler-Smith
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