WERK X-Petersplatz /// 03. Oktober 2019 /// WASTED
Die Inszenierung von Kate Tempests Erstlingswerk WASTED des MOROSIS Kollektivs beeindruckt – nach der ersten so la la Hälfte – mit einem szenischen Aufdrehen im zweiten Teil des Stückes. Gezeigt wird, wie charmant man mit dem Verändern der Lebensumstände hadern kann.
WASTED handelt von Ted (Nikolaji Janocha), Danny (Onur Çağdaş Şahan) und Charlie (Anna-Sophie Fritz), die schon ewig befreundet sind. Alle drei sind Anfang dreißig und furchtbar unzufrieden mit ihrem Leben. Im Mittelpunkt der Handlung steht ihr Beschluss, seit Langem einmal wieder zusammen abends fortzugehen.
Das Stück beginnt mit einer Musiknummer – einer von vielen, wie sich herausstellen wird: Zu der Sangeskunst der Darsteller_innen möchte ich nur sagen, dass man merkt, dass sie keine professionellen Sänger_innen sind. Die Gesangseinlagen geben mir Karaokevibes, passen aber nicht zu der von den Figuren tatsächlich besuchten Raveparty. Sie nehmen verhältnismäßig viel Zeit ein, was schade ist, da für das Schauspiel weniger Platz bleibt. Immer dann, wenn kurzzeitig gerappt anstatt gesungen wird, kommt die eingeschriebene Musik von Kate Tempest‘ Text eindrucksvoll zum Vorschein.
Beim Text bleibend: Dass die Handlung von London nach Wien verlegt wurde, vergisst man zwischendurch. Das Jargon der Schauspieler_innen wechselt zwischen Standarddeutsch, bundesdeutschen und wienerischen Sprachvarietäten: Einmal lautet die Anrede „Oida“, dann „Mann“, mal wird der beste Freund als „Pisser“, mal als „Beidl“ beschimpft. Am Ende der Vorstellung ist mir unklar, weshalb die Sprache ein Kuddelmuddel aus verschiedenen Sprachvarietäten ist, das innerhalb der Handlung schlicht keinen Sinn macht.
Die erste Hälfte des Stückes zieht sich dahin. Grund dafür ist, dass durch viel Text die Grundlage für den weiteren Handlungsverlauf gelegt wird und auf der Bühne wenig zu sehen ist. Der Einsatz einer Videokamera, deren Aufnahmen direkt übertragen werden, ermöglicht schließlich eine zweite Perspektive auf der Bühne und beschleunigt so das Spieltempo etwas.
Sobald die „Wastedness“ einsetzt, nimmt das Stück ganz schön an Fahrt zu. An einem Punkt des Abends stellen sich die Schauspieler_innen nacheinander auf, ehe sie anfangen, durchchoreografiert und mit engstem Körperkontakt sich Richtung Treppe zu bewegen, was beeindruckend zum Anschauen ist. Später, Charlie und Danny stehen sich gegenüber, macht sie Schluss mit ihm: Dabei klettert sie über ihren frischgebackenen Exfreund drüber, während er fadenscheinigste Ausreden bietet, weshalb er nicht mit ihr ins Ausland gehen kann. Vielleicht die bildsprachlichste und kreativste Art und Weise, wie jemand über jemanden anderen hinwegkommt, die ich bisher gesehen habe.
Komödiantisches Highlight ist Anna-Sophie Fritz, die mit der richtigen Mischung aus Pathos und überspielter Verzweiflung Charlies Backpacking-Fantasien beschreibt: Sie werde die Welt verändern, indem sie Kindern in fremden Ländern zwei Brocken Deutsch lehrt. Bei dieser gelungenen Parodie auf überhebliche Aussteiger_innen und Gutmenschen habe ich fast Tränen gelacht.
Die Figuren in WASTED sind schablonenhaft, um bei Charlie zu bleiben: Sie ist Lehrerin und beschreibt ihre Aufgabe trocken mit den Worten: „Ich halte 14-Jährige davon abhalten, sich gegenseitig Dickpics zu schicken“. Der Charme, den die Schauspieler_innen diesen oft gesehenen Charakteren einflößen, macht die Inszenierung dennoch sehenswert, da man als Zuschauer_in Sympathie für sie entwickelt und ihnen mit Wohlwollen beim an sich selber Scheitern zuschaut. Denn obwohl sie alle unglücklich sind, unternehmen sie keinen Schritt, um etwas an der persönlichen Lage zu verändern – außer Charlie: Sie schmeißt zwar nicht ihren Job und geht ins Ausland, wie angekündigt, aber sie hält an ihrer Trennung fest.
Fazit: Unter Einsatz von vielen Gesangseinlagen und einer Live-Filmübertragung kann man Ted, Danny und Charlie beim Scheitern an sich selbst zuschauen. Dass die Inszenierung des MOROSIS Kollektivs durch ihren Charme glänzt, macht den – wie man in traditionellen Kritiker_innenkreisen so gerne sagt – durchwachsenen Abend zu einem unterhaltsamen.