Volkstheater Wien /// 15. November 2024 /// Camino Real
In einer Kooperation mit der Band Calexico inszeniert Regisseurin Anna-Sophie Mahler Tennessee Williams’ Camino Real als Effekttheater, wobei insbesondere Musik und Lichttechnik den illusionären Traumcharakter des Theaterstücks von 1953 hervorzuheben vermögen.
Inhalt von Williams’ Camino Real ist die Ankunft des einstigen Boxprofis Kilroy an einem nicht klar spezifizierbaren Ort, wo er berühmten Figuren des kollektiven Gedächtnisses begegnet. Ein Ausbruch aus dieser von Mr. Gutman verwalteten und durch rätselhafte Tode und Regeln düsteren Sphäre scheint kaum möglich. Vielmehr verwehrt sich das in 16 Stationen unterteilte Stück in seiner Komposition als Traumlandschaft erratischen Stils einer gänzlichen Durchdringung.
„A window to dream“, eröffnet die Band Calexico (Joey Burns, John Convertino, Martin Wenk) den Abend, womit die Weichen für die Inszenierung am Volkstheater gestellt sind: Machen die Songs der Band aus Arizona ein Gros des Textes aus, so bleibt das im Hintergrund der Bühne eingerichtete Fenster buchstäblicher Fluchtpunkt des Figurenpotpourris. Casanova (Elias Eilinghoff), Lord Byron (Uwe Schmieder), Esmeralda (Lavinia Nowak) und Co. bevölkern die Bühne von Anfang an und das gleichsam als Projektionsfläche stimmungsvoller Bilder fungierende Fenster scheint der einzige Weg, dem Camino Real zu entkommen.
Als Mr. Gutman führt Andreas Beck in gewohnt brillantem Spiel durch die einzelnen Stationen des Camino Real. Überhaupt besticht die Inszenierung durch das Schauspiel des gesamten Ensembles. Uwe Rohbeck als Besitzer des sogenannten Männerhotels Mr. Ratt beeindruckt ab der ersten Szene und Elias Eilinghoffs Casanova ist nicht nur aufgrund des Kostüms (Victoria Behr) eine Freude anzusehen.
Die Entscheidung, Don Quichotte – gewissermaßen ein König der Irrenden und Illusionären – und Sancho Panza als Teil der stets präsenten Band auftreten zu lassen, leistet eine vorlagenadäquate Verdeutlichung des Episoden- und Bruchstückhaften des Camino Real. „Was ist das für ein Ort?“ wird die Undurchdringlichkeit desselben auch auf der Bühne formuliert und ähnlich unklar scheint für die Figuren auch, wie dem zu entkommen sei. Lord Byron gelingt der Aufbruch, nachdem er die Unwiederbringlichkeit seiner Erinnerungen erkannt hat und verlässt die Bühne bildgewaltig im Gehrock und auf einen Stock gestützt. Auch Casanovas Geliebte Marguerite (Bettina Lieder) entrinnt dem stets das Ende des Camino Real abbildenden Bühnenraum, während Casanova selbst an der Illusion ihrer gegenseitigen Liebe festhält und daher, scheint es, bleiben muss, ja will. Denn
Die Menschheit verträgt nicht viel Wirklichkeit.
ist der Tenor, der die Welt des Camino Real überhaupt erst zu erschaffen vermochte.
Links im Bild: Marguerite, rechts im Bild: Casanova, im Hintergrund: Calexico
Und so landet auch der ehemalige Box-Champion Kilroy (Stephan Kevi), immer noch festhaltend an seiner längst vergangenen Karriere und seinen goldenen Box-Handschuhen, vor dem Ritz Männerhotel. Kilroys kurze Romanze mit Esmeralda bleibt jedoch ähnlich unmotiviert wie die Erfüllung seines Wunsches, den rätselhaften Ort zu verlassen, wenn er mit einem Lächeln aus dem Theaterraum durch die Seitentür hinaustritt. Auch das Potenzial des verbotenen, weil subversiven Wortes „hermana“, das zur Verschwesterung einlädt, wird nicht weiter ausgeschöpft, nachdem es als das gefährlichste Wort hier am Ende des Camino Real eingeführt wurde. Es mag zum Programm des Ortes passen, der keinen „Austausch von ernsthaften Fragen und Gedanken“ (Casanova) dulden will, dass angeschnittene Themen meist oberflächlich bleiben. Auch die Entscheidung, Don Quichotte und Sancho Panza in Form der Calexico-Formierung auf die Bühne zu bringen, sorgt zwar für musikalische Einlagen, die das Publikum mit Standing Ovations lohnt, erschließt sich jedoch dramaturgisch nicht ganz. Durchdacht eingesetzt werden die technischen Mittel der Bühne, so etwa wenn, Esmeraldas Gesicht im Großformat in den Bühnenraum gebeamt wird und damit ihr mehrmals benannter Schleier auch eine bühnentechnische Entsprechung erfährt.
Rechts im Bild: Kilroy
Das Spiel aller Beteiligten und die unverfänglichen und eigens für diese Inszenierung geschriebenen Songs tragen zu einem kurzweiligen Abend bei, der in mehr als zwei Stunden kaum Momente der Lageweile gestattet. Zwar hätte das Publikum wohl in der Tat mehr Wirklichkeit, mehr Tiefgang vertragen, doch ist mit Anna-Sophie Mahlers Camino Real auf jeden Fall ein Abend geschaffen, der ein schön anzusehendes Schauspiel auf einer spannenden Bühne bietet.
CAMINO REAL
Von Tennessee Williams
Regie: Anna-Sophia Mahler
Besetzung: Joey Burns (Don Quichotte), John Convertino (Sancho Panza), Andreas Beck (Gutman), Paula Carbonell Spörk (La Madrecita De Los Perdidos), Günther Wiederschwinger (Der Überlebende, Der Dozent), Elias Eilinghoff (Jaques Casanova), Uwe Rohbeck (A. Ratt), Anke Zillich (Die Wahrsagerin), Stephan Kevi (Kilroy), Lavinia Nowak (Esmeralda, Tochter der Wahrsagerin), Bettine Lieder (Marguerite), Uwe Schmieder (Lord Byron), Paul Wallfisch (Pilot, Zweiter Straßenkehrer), Martin Wenk (Erster Straßenkehrer) | Bühne: Katrin Connan | Kostüm: Victoria Behr | Komposition und Live-Musik: Calexico (Joey Burns, John Convertino, Martin Wenk), Paul Wallfisch | Ton: Michael Sturm | Videoart: Max Hammel, Mitarbeit: Lisa Rodlauer | Lightdesign: Nicholas Langer | Dramaturgie: Alexander Kerlin
Mehr Informationen unter CAMINO REAL – Volkstheater Wien
Fotos: © Marcel Urlaub