Volkstheater /// 4. November 2021 ///KAMPF-L.O.L.I.T.A. (Evolution ist Chef)
Jonathan Meese stellt mit einem Theaterabend irgendwo zwischen Kritik, Theorie, Aktion und Aktivismus das Volkstheater auf den Kopf.
Jonathan Meeses Theaterabend Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – Ihr alle seid die Lolita Eurer Selbst! hatte im Februar 2020 in Dortmund Premiere – dann kam Corona und fünf weitere geplante Vorstellungen konnten nicht stattfinden. Schade, denn das Stück zielte darauf ab, jede Aufführung anders verlaufen zulassen – mit anderen Kostümen, die sich die Spieler*innen willkürlich aussuchen, anderem Bühnenbild, das während des Spiels gestaltet wird und anderen Themen, die an jedem Abend der Zufall vorgeben soll.
Einenhalb Jahre später kommt am Wiener Volkstheater das Ganze mit anderem Titel doch zur Aufführung, auch hier soll jeder Spieltermin etwas anders verlaufen: Eine fragwürdig-frivole Gemeinschaft, die „Sekte der Selbstdenunziation“, wie sie heißt, scharrt sich um ihren Anführer, Meese selbst. Scheinbar völlig konfus rufen die Mitglieder zur weichgespülten Mittelmäßigkeit auf. Schleimigkeit als Überlebensstrategie, und das vor einem Bühnenbild aus vereinzelten, sich ständig bewegenden und neu zusammensetzenden Elementen, die, mit Bildern und Namenszügen aus Weltlitertur und politischem Weltgeschehen verziert gleichzeitig auf alles und nichts verweisen.
Meeses Text ist dicht und zu dicht zugleich: Obwohl eine kurze, von Meeses Mutter vor dem Stück per Videoprojektion vorgelesene, Zusammenfassung von Vladimir Nabokovs Lolita das Original in Erinnerung ruft, und die Schauspieler*innen sich mit detaillierter Schärfe an einem ausufernden Text abarbeiten, ist keine kohärente Erzählung auszumachen. Zusammenhänge sind höchstens assoziativ zu erahnen, sich ständig wiederholende Bilder, politische Kritik und kunsttheoretische Plattitüden, variieren. Von Nabokovs Ursprungstext ist die Freude an der Sprache geblieben, was an sich entwickelnder Handlung fehlt, wird an spektakulärem Schauspiel wettgemacht.
Zum Schauen gibt es genug, denn auf der Bühne passiert wirklich alles: Kunst und Politik. Sakrales und Weltliches, Krieg, Theater und Verschwörungstheorie, Vergewaltigung und Geburt. Und zwar gleichzeitig, ineinandergreifend, gegeneinander – also unüberschaubar, spektakulär und ermüdend. Es gibt keinerlei Hemmung davor, Banalitäten aus der Trickkiste des physischen Humors auf die große Theaterbühne zu heben: Kuchen klatschen in Gesichter, blanke Hintern werden ausgepeitscht und dazwischen wird immer wieder die Nebelmaschine angeworfen. Unterlegt wird das von leichter Schlager- oder Spielfilmmusik. Lilith Stangenberg als Lolita singt Alizées „Moi… Lolita“ genauso wie inbrünstig das Horst Wessel Lied. Gegen Ende verliert das Stück durch Wiederholung etwas von seiner immensen Kraft des Chaotischen, mit der es durch alle Ebenen von Politik, Kunst und Nonsens fährt und endet mit einem Mini-Auftritt von Meeses Mutter.
„Wir sind härter als Theater“ ist eine der vielen Parolen, die Meese während des Abends wie wahllos von sich gibt, und er hat Recht – seine Lolita geht an die Grenzen. Diesem Theater gewinnen nur hartgesottene Liebhaber*innen etwas ab.
Mit: Maximilian Brauer, Jonathan Meese, Uwe Schmieder, Martin Wuttke, Lilith Stangenberg, Anke Zillich / Regie, Bühne,Kostüm: Jonathan Meese / Bühnenmitarbeit: Louise Robin, Nane Thomas / Kostümmitarbeit: Mona Ulrich / Dramaturgie: Henning Nass
Universums-Uraufführung KAMPF-L.O.L.I.T.A. (Evolution ist Chef)
Mehr Informationen hier: https://www.volkstheater.at/produktion/923544/kampf-l-o-l-i-t-a-evolution-ist-chef-oder-l-o-l-i-t-a-d-z-i-o-zardoz-fliegt-wieder
Weitere Termine: 2.12.2021, weitere Termine in Planung
Foto: (c) Marcel Urlaub