Schauspielhaus /// 09. Dezember 2023 /// WUNDER
Mit der österreichischen Uraufführung von Enis Macis WUNDER gibt das Schauspielhaus der Frage nach dem Wesen und der Diskurskraft von Körperlichkeit eine Bühne.
Juan Miranda inszeniert auf der Bühne des Schauspielhauses mit Enis Macis WUNDER weibliche Körperlichkeit in denjenigen vielfältigen und verworrenen Beziehungen, die Körperkulte konstituieren und weibliche Körper überzeitlich miteinander verbinden. Übersetzungen ins Spanische bzw. Deutsche auf Leinwänden außerhalb der Bühne machen den in dieser Inszenierung dreisprachigen Text (Deutsch, Spanisch, Katalanisch) durchgehend verständlich. Fünf weiblich gelesene Rollen, die zunächst viel mehr Typen als Individuen darstellen, vermitteln den collagenhaften Text, der etwa aus parodierenden Zitaten aus dem Jargon des Körperkults besteht („einfach so richtig Bock auf Eisbergsalat“). Eine Art Bühne auf der Bühne in Form eines Bodens aus Ziegelsteinen und einer höhen- und neigungsverstellbaren Decke wird Hauptort der Darstellung.
Foto: Inma Quesada
In WUNDER begegnen wir der allumfassenden Kraft des gängigen Körperkults, der ständigen Fokussierung auf das „Projekt Körper“, aus dem auszubrechen die Figuren ansatzweise durchaus als lukrative Alternative ahnen, dessen Sog jedoch zugleich ein ungemein kollektivbildendes Potenzial birgt: Die im Stück angestrebte Zugehörigkeit zum WIR, ja ein WIR überhaupt, scheint nur im Zusammenhang mit der Unterwerfung des ICH unter ebendiesen Körperkult möglich zu sein. Die Krankheit, die die Inszenierung immer wieder hervorhebt und die aber recht undifferenziert bleibt, tritt etwa als Wunde auf, die die Darstellerinnen (Constanza Aguirre, Iris Becher, Tina Keserović, Virginia Rovira, María García Vera) der Bühne, auf der sie sich bewegen, selbst mittig zufügen. Wenn Ziegelsteine gemeinschaftlich abgetragen werden und sich die Akteurinnen danach um das neu geschlagene Loch zusammenfinden, wird ein Paradoxon der Körperlichkeit sichtbar. Diese Ambiguität aus zerstörerischer, krank machender Zentrierung auf einen scheinbar immer zu perfektionierenden Körper, die ungesunde Ausmaße annehmen kann, einerseits und einem dadurch entstehenden Gefühl der Zugehörigkeit zu ebendiesem Körperkult andererseits bleibt nicht die einzige.
„der dreck der weltenmacht und ich wird ein zikadengesang“,
beschreibt eine der fünf Rollen den ebenfalls paradoxen Umstand, wenn Wunde und Heilung den Gesetzen der Logik nach denselben Ursprung haben, Heilung und das damit verbundene wohlige Gefühl also nur aufgrund einer vorangegangenen Verwundung existieren kann. Wird ein solches als positiv empfundenes Gefühl der Heilung und des Trosts mit einem bestimmten Ort oder Gedanken attribuiert, so spenden Orte Trost, die es idealiter eigentlich nicht geben sollte, wie eine der Figuren das Paradoxon benennt. Die Inszenierung versucht nicht, diese Widersprüchlichkeit aufzulösen. Sie verweist vielmehr auf den roten Faden der (weiblichen) Körperlichkeit. So nehmen die Darstellerinnen für kurze Zeit Rollen von Individuen ein. Der barocken Malerin Artemisia Gentileschi, die mit ihrem Judith-Bild weiblicher Körperlichkeit eine Leinwand schuf, wird eine Bühne gegeben, auf der sie von ihrer eigenen Vergewaltigung berichtet. Derselbe Raum wird mit der Stimme der Pornodarstellerin Cora gefüllt, indem Lautsprecher die männliche Schuld ihrer Sexarbeit benennen. Nachdem sich die Rolle der Hl. Elisabeth von Thüringen von der Propaganda selbstvergessener Sexualität löst und mit einer erst durch Wunden möglichen Heiligkeit gebrochen wird, erfährt Körperlichkeit jedoch wieder ein kollektivstiftendes Moment: Die fünf Akteurinnen, nun wieder nicht mehr in individuellen Rollen, tanzen und dieses Tanzen ist selbstbestimmt.
Foto: Inma Quesada
Der Inhalt des Stücks ist nicht neu, die Diskurse gängig und teilweise heruntergebrochen. Doch die kurzweilige Inszenierung versucht auch nicht, sich als problemlösende Erkenntnis zu präsentieren, sondern zeigt Zusammenhänge auf, die sich gegen potenziell zu vereinfachende Gegensteuerungsversuche gegen einen (im Stück nur weiblich attribuierten) Körperkult verwehren: Schönheitswahn und damit zusammenhängende Krankheiten sind nicht lediglich dem aktuellen Diskurs entsprungene Phänomene, sondern stehen in einer Tradition und einem System, das Weiblichkeit und Gemeinschaft körperlich zu fixieren sucht. Die Verstrickungen sind größer, Körperkulte verwurzelt.
Das Paradoxon des Körperkults, die gegenseitige Abhängigkeit von ICH, WIR und der beispielsweise am holy-Begriff aufgemachten Ambiguität von löchrig, verwundet, und heilig bleibt ungelöst. Vor allem durch die Projizierungen des Texts wird sie zudem sichtbar. Am Ende, wenn die Darstellerinnen im selbst ausgehobenen Loch des Ziegelbodens stehen, erhebt sich berechtigter Applaus für ein Stück, das nur durch die Problematik eines Körperkults überhaupt erst möglich ist, dessen Ambiguität so ein letztes Mal das Theater füllt.
WUNDER
von Enis Maci unter der Regie von Juan Miranda
Fotos: © Inma Quesada
Schauspiel: Constanza Aguirre, Iris Becher, Tina Keserović, Virginia Rovira, María García Vera| Regie: Juan Miranda| Bühne und Kostüme:Larissa Kramarek| Komposition: Paula Montecinos Oliva| Sounddesign: Victor Bassedas| Videomapping: Eloi Costilludo| Licht: Elisabet Castells i Negre| Dramaturgie: Mazlum Nergiz| Regieassistenz: Stella Jarisch| Regieassistenz und Kommunikationsdesign: Aurembiaix Montardit| Choreografische Assistenz: Karen Mora| Stimmtraining: Xuel Diaz| Voiceover: Laura Monedero, Petra Zwingmann| Produktionsleitung: Guillem Gefaell| Mitarbeit Produktionsleitung: Maria Garcia Rovelló
mehr Informationen unter https://www.schauspielhaus.at/veranstaltung/wunder