Kosmos Theater /// 02. Oktober 2020 /// SWTT #2 | NAME HER. Eine Suche nach den Frauen +
Eine Theater-Performance über die fehlende Sichtbarkeit von Frauen im Geschichtsdiskurs und die Erkenntnis, dass es einen Namen benötigt, um sich in diesen einzuschreiben. Redakteurin Tina hat sich den ersten von vier Teilen angesehen, Redakteurin Michèle den zweiten. Dieser Text vereint ihre Eindrücke.
Die Bühne, ein Triptychon aus drei übergroßen Handybildschirmen, erinnert an sakrale Altargestaltung, die an die Dreifaltigkeit denken lässt. Anne Tismer (Performance & Text) eröffnet als Schattenfrau tanzend hinter einem der Bildschirme zu Little Prayer von Madonna. Sie arbeitet sich im ersten Teil durch die Namen von vergessenen Frauen, beginnend bei A wie Alice Roth bis F wie Francesca Caccini, im zweiten Teil von G wie Gladys Radek bis L wie Lois Weber. Dabei jongliert sie mit verschiedenen Methoden, um Missstände und strukturelle Diskriminierung in der Geschlechtergleichheit aufzudecken und zu thematisieren. Beispielsweise inszeniert sie ein Gewinnspiel, bei dem das Publikum anhand relevanter Hinweise den Namen einer Frau erraten soll, die in ihrem Metier viel erreicht hat, allerdings der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Auch im Publikum kennt niemand ihren Namen.
Tismer und Marie Schleef (Idee, Konzept, Text & Inszenierung) zeigen, wie Geschichte sich nicht von selbst schreibt, sondern sich auf die gegebenen Strukturen ihrer Zeit stützt. Dabei ist die Geschichtsschreibung definitiv nicht gerecht oder gleichberechtigt. Einen weiblichen Namen zu haben, ist nicht hilfreich, um erfolgreich zu werden, damals wie heute. Nur die Dimensionen haben sich ein wenig verschoben. Etheldred Benett wurde zwar der Ehrendoktor der Universität Sankt Petersburg verliehen, jedoch nur, weil sie aufgrund ihres Namens für einen Mann gehalten wurde. Oft wurden Ideen oder die Vorarbeit von Frauen genutzt, jedoch ohne sie dafür anzuerkennen. Sichtbarkeit bekamen Persönlichkeiten nach bekannten Parametern: männlich, Weiß und reich helfen dabei noch heute.
Nur die Auswahlmechanismen der Namen erschließen sich teilweise nicht. Allen genannten Frauen ist gemeinsam, dass sie sich durch eine herausragende Tätigkeit hervorgehoben haben, ob in Kunst, Wissenschaft, Sport oder einem anderen Bereich. Die Bildende Kunst erhält durch Tismer einen Schwerpunkt, der auf Kosten anderer Themen zu gehen scheint. Ziel scheint es vergessenen und daher unbekannten Frauen* Repräsentation zukommen zu lassen, allerdings irritiert die Gewichtung phasenweise. Zu den einen fallen zwei Sätze, zu den anderen Seiten. Bei der im zweiten Teil erwähnten Ärztin Johanna Haarer kommt überhaupt die Frage auf, warum diese im Nationalsozialismus tätige Person noch weitere Aufmerksamkeit benötigt.
Viele, sehr viele Namen erscheinen auf den Bildschirmen, leider nicht alle mit ausführlicher Erklärung. Immer wieder kommt es zu wissenschaftlichen oder populistischen Einspielungen, die nicht immer in Verbindung mit den genannten Personen stehen. Sie determinieren nur generell die Diskriminierung von Frauen, nur falls noch jemand Zweifel hatte.
Fazit: Der Abend zeigt, dass es unser aller Verantwortung ist, diesen Namen Raum zu geben und so die Geschichtsschreibung mit zu gestalten. Gerade das Internet weiß nur, was wir ihm erzählen und nur wer einen Namen hat, nimmt am Diskurs teil.
SWTT #2 | NAME HER. EINE SUCHE NACH DEN FRAUEN+
Eine Produktion von Marie Schleef in Kooperation mit dem Ballhaus Ost, den Münchner Kammerspielen und Kosmos Theater
Performance & Text: Anne Tismer | Licht Einrichtung & Operator: Dulci Jan | Bühnen- und Kostümbild & Video: Jule Saworski | Licht: Fabian Eichner | Videoeinrichtung: Karl Börner | Dramaturgie & Text & Übertitel: Laura Andreß | Idee & Konzept & Text & Inszenierung & Übertitel: Marie Schleef | Mitarbeit Produktion: Michiko Günther | Inspizienz & Mitarbeit Produktion & Video: Ruben Müller | Druckgrafik: Tania Schleef | Kommunikation & Netzwerk: Wiebke Jahns
Mehr Informationen hier:https://kosmostheater.at/produktion/name-her/
Fotos: Name Her © Unsplash