Pelzverkehr-Festival/// 18.09-25.09.2021 /// Klagenfurt
Feministischen Auseinandersetzungen zu Nacktheit und Intimität, einer Ausstellung zu Tanzfotografie sowie queeren Perspektiven auf Ballett fand das diesjährige Pelzverkehr – Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance seinen krönenden Abschluss.
Bereits zum sechsten Mal bereichert das Pelzverkehr-Festival unter der Intendanz von Ingrid Türk-Chlapek die Klagenfurter Innenstadt. Von 18. bis 25. September standen heuer insgesamt 25 Veranstaltungen auf dem Programm, darunter eine Uraufführung und sechs Gastspiele aus der Alpen- Adria Region. Neben vier österreichischen Erstaufführungen ergänzten morgendliche Tanzworkshops, Künstler*innengespräche, Ausstellungen und gemeinsame Begegnungen beim Mittagstisch im Urban Space Café Hafenstadt das vielseitige Programm. Wir waren zu Gast beim Festivalfinale und die Reise sollte sich lohnen.
Der erste Programmpunkt des letzten Tages führte ins Künstlerhaus Klagenfurt, wo „Naked Life“ des slowenischen Kollektivs Via Negativa zu sehen war. Mit „Naked Life“ hat Performerin und Bildende Künstlerin Olja Grubić eine Performance konzipiert, die das Spannungsfeld von Intimität und Gesellschaft sowie die Beziehung zum eigenen nackten Körper untersucht: Sechs nackte Performerinnen reiben in sexuell konnotierten Positionen Gemüse, das aufgrund seiner Form eine phallische Symbolik transportiert. Die geriebenen Gurken, Zucchini und Karotten erzeugten dabei nicht nur einen frischen Geruch im ganzen Raum, sondern produzierten auch das Bild einer dekonstruierten männlichen, phallischen Anwesenheit. Das Blickverhältnis, das sich in passiv/weiblich (die Angeblickte) sowie aktiv/männlich (der Blickende) teilt, wird in „Naked Life“ wortwörtlich zerrieben.
Den Performerinnen gelingt es dabei nicht nur sich von Zuschreibungen zu emanzipieren, sie lösen nebenbei auch die starre Raumverteilung zwischen Publikum und Darstellerinnen auf. Ob zwischen, auf oder unter den Stühlen – kein Ort im Saal des Kunsthaus Klagenfurt bleibt frei von Gemüsespuren. Doch ist „Naked Life“ dabei nicht radikal oder aufdringlich, sondern eher ein Versuch, die Nacktheit als das Wesentliche des Menschens auf sehr poetischer Weise begreifbar zu machen.
Vorm großen Finale des Pelzverkehr-Festivals in der theaterHALLE11 führte der nächste Programmpunkt noch zur Ausstellung „A Sea of Being“ im Café Hafenstadt. „A Sea of Being“ ist eine Fotoserie über Butoh, eine avantgardistische Performance-Kunst im Japan der Nachkriegszeit, und das Ergebnis einer künstlerischen Zusammenarbeit der Tänzerin Mirjam Morad und des Tanzfotografen Laurent Ziegler. Morad war eine in Wien lebende Performerin mit engen Verbindungen zu Kazuo Ohno, einer der führenden Persönlichkeiten und Begründerin des Butoh. Butoh zeichnet sich durch einen radikalen Zugang zu Tanz aus, wobei Formlosigkeit und der Bruch mit ästhetischen Regeln sowie die Befreiung von Kontrolle und Rationalität im Vordergrund stehen. In diesem Sinne basierte auch Morads tänzerische Praxis auf dem Begreifen der Welt als Mikrokosmos, in dem Mensch und Umwelt miteinander verschmelzen.
Die in der Hafenstadt ausgestellten Werke sind poetische Momente, aufgenommen auf Kartoffeläckern oder verlassenen Gebäuden in der Umgebung Wiens. Ziegler hat dabei den Fokus auf Schwarz-Weiß-Fotografie gelegt, Farben werden nur sparsam eingesetzt und erzeugen einen markanten Kontrast. Die Bilder erzählen von Vergänglichkeit und dem Altern eines Körpers: Etwa, wenn Morad verschleiert wie tot auf dem Wasser treibt oder mit einem Baumstamm verschmilzt. Die verschiedenen Bilder variieren bezüglich ihrer Bildausschnitte: So konzentriert sich Ziegler neben Ganzkörperaufnahmen auch auf einzelne Gliedmaßen, wie Hände, oder Detailansichten von Textilkonturen. „A Sea of Being“ gibt Einblicke in das Herausarbeiten individueller Körperästhetiken. Besonders faszinierend ist dabei das Einfangen dynamischer Bewegungen und die bewusste und sensible Lichtführung.
Vom Café Hafenstadt ging es nun zehn Minuten fußläufig weiter zur theaterHALLE11. Das Bild, das die Zusehenden beim Betreten des Saals erwartet, bricht zunächst mit Sehgewohnheiten: Ein älterer, männlich gelesener Körper sitzt mitten im Saal, vor ihm ein riesiger Haufen unzähliger rosé-seidener Ballettschuhe. In seiner Hand befinden sich Nadel und Faden, mit welchen er die Bänder eines Spitzenschuhs zu reparieren versucht. Nachdem die Zuschauer*innen ihren Platz im Saal gefunden haben, beginnt die Person von ihrem Leben und ihrem Beruf als Tänzer*in zu erzählen. Gonzalez spricht dabei von sich als „er*sie“ (Aufgrund dessen wurde im weiteren Verlauf des Textes die nicht-binäre Form „er*sie“ gewählt).
„Blue prince black sheep“, eine Tanzperformance von Amancio Gonzalez und Choreographin Carlotta Sagna, handelt von den starren Dogmen des klassischen Balletts und dem Versuch, diese aus queerer Perspektive zu durchkreuzen. Dafür bat Gonzalez Kolleginnen aus der Semperoper um ausrangierte Spitzenschuhe, die ihm*ihr als Inspirationsquelle dienten, um seine*ihre Arbeit und Verortung als Tänzer*in zu reflektieren. Der abgenutzte Spitzenschuh wird dabei zur Symbolik von Disziplin und Schmerz, Anmut und Anstrengung und repräsentiert die dualistische Hass-Liebe von Gonzalez zum Tanzen.
Gonzalez tanzte 16 Jahre lang unter der Direktion von William Forsythe, einem der führenden Choreographen des 21. Jhdt. und „Erneuerer der Balletpraxis“. Seine Werke sind dafür bekannt, das von starren Richtlinien und geschlechtlichen Normierungen geprägte Ballett aus seiner Tradition zu lösen und durch den Einbezug anderer Medien/Kunstformen sowie Improvisationstechniken einen subversiven Zugang zu dieser Tanzform zu schaffen. Dazu zählt das Hinterfragen binärer Geschlechterrollen und der damit verbunden klassischen Balletttechniken sowie das Spiel mit den Erwartungen des Publikums – Elemente, die auch in „Blue prince black sheep“ wiederzufinden sind und von Gonzalez und Sagna weiterentwickelt bzw. zugespitzt wurden.
In “Blue prince black sheep” bricht Gonzalez mit der Präzision und Genauigkeit der Grundschritttechnik: er*sie knickt ein, richtet sich wieder auf, dreht sich elegant und stolpert weiter. Dabei bleibt Gonzalez immer im Kontakt zum Publikum, indem er*sie von seinem Leben und Erfahrungen als Tänzer*in erzählt. Gonzalez kritisiert aber nicht nur das Regelwerk des klassischen Balletttanzes, sondern die gesamte Maschinerie des Ballettbetriebs. Eine in Bewegungsabläufe integrierte Dankesrede an das Publikum, seine*ihre Kolleg*innen und Community führt er*sie mit unverständlichem Kauderwelsch ad absurdum.
Nach ca. 40-minütiger deutlich sichtbarer Anstrengung folgt ein Black und die Verbeugung. Doch die Zuseher*innen dürfen noch nicht gehen – eine berührende Interpretation des Tanzsolos „Der sterbende Schwan“ folgt. Die Bewegungen führt Gonzalez dabei mit einer beeindruckenden Haltung aus. Durch die Aneignung und Ausführung einer Praxis, die mit klaren Vorstellungen eines weiblich gelesenen Körpers verbunden ist, werden zum Abschluss der Darbietung die Binarität, Klischees und Normen des Balletts völlig dekonstruiert.
Seit 2016 bringt das Pelzverkehr-Festival zeitgenössische und experimentelle Tanz- und Performancekunst nach Klagenfurt und setzt dabei, ohne sich auf Kategorien festzulegen, auf queer-feministische Perspektiven. Dem Pelzverkehr-Team gelingt es dieses Jahr erneut, mit einem subversiven und progressiven Programm einen Ort des Austauschs zu schaffen. Nächstes Jahr wird das Festival aufgrund fehlender Förderungen leider nicht stattfinden können. Wir warten umso gespannter darauf, was Intendantin Ingrid Türk-Chaplek und ihr Team stattdessen auf die Beine stellen werden und hoffen auf ein Wiedersehen bei der Wiederbelebung des Pelzverkehr Festival im übernächsten Jahr.
Intendanz: Ingrid Türk-Chaplek, Assistenz der künstlerischen Leitung: Marie-Theres Ivanov; Obmann und EDV: Fabian Türk; Kulturvermittlung: Edda Pilgrim-Hannesschläger; Produktion: Stanislaus Kernjak; Content Managerin: Lisa Marielle Neuner
Mehr Informationen hier: https://www.festivalpelzverkehr.at
Naked Life:
Konzept, Idee und visuelles Design: Olja Grubić
Performance:Kristina Aleksova, Olja Grubić, Sara Horžen, Ena Kurtalić, Anita Wach, Lana Zdravković
Künstlerische Leitung: Bojan Jablanovec
Produzentin: Špela Trošt
Produktion: Via Negativa
A Sea of Being – Tanzfotografien:
Tanz: Mirjam Morad
Fotografie: Laurent Ziegler
Blue prince black sheep /Dying Swan:
Choreografie: Carlotta Sagna in Kooperation mit Amancio Gonzalez
Performance: Amancio Gonzalez
Lichtdesign: Ulli Stephan
Produktion: Festspielhaus Hellerau Dresden, Unterwegs Theater Heidelberg
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